Auftritt
Senftenberg: Der Lange-nachder-Wende-Blues
Neue Bühne Senftenberg: „Sterne über Senftenberg“ (UA) von Fritz Kater. Regie Dominic Friedel, Ausstattung Peter Schickart
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)
Acht Figuren suchen das Lebensglück, inmitten unerschlossener Freiheit. Einige finden, dass schon in ihrem bisherigen Leben eigentlich nichts wirklich auf diese Glückserfüllung angelegt war. Jedenfalls nicht auf die ganz große Erfüllung. Es ist dieses Thema der Wehmut, das Fritz Kater in seinen Stücken immer wieder aufgreift. Thomas war mal ein Rockmusiker, der nach der Wende in Versicherungen machen musste, damit das eher Rocker-untypische Reihenhaus mit seinen Bauschäden wenigstens zur Hälfte abbezahlt werden konnte. Er träumt von einer Go-Kart-Bahn als etwas glamouröserer Existenz, näher an den alten Träumen. Ihm gegenüber, fast wie in einer sozialen Versuchsanordnung der ostdeutschen Nachwendeprovinz, sind da noch der frühere Parteiarbeiter Benjamin, der seit dem wohl eher versehentlich abgegebenen und einzigen Schuss im Herbst ’89 im Rollstuhl sitzt, und der aus dem Westen gekommene Pfarrer, der mit seiner etwas falsch wirkenden Freundlichkeit an den realen Nöten vorbeifremdelt.
2003 schrieb Fritz Kater das Stück „Sterne über Mansfeld“, und sein Alias Armin Petras inszenierte die Uraufführung in Leipzig. Vierzehn Jahre später können die „Sterne über Senftenberg“ angesichts der Übernahme von Figurenkonstellationen und Motiven als ein Remake bezeichnet werden – andere Zeit, anderer Ort. Es ist vom Staub der Kohle die Rede, um die Figuren glaubwürdig in die unmittelbare Landschaft der Lausitz zu bringen, und der Grundton ist nun eher das Erschrecken über die Langeweile als die Empörung über den sozialen Wandel, um das Stück in die heutige Zeit zu versetzen. Dabei fallen erstaunliche Sätze, wenn es etwa um die Sehnsucht nach „magischen Orten“ geht. Von der Ost-West-Fremdelei bleibt der sarkastische Befund: „Wir werden älter. Das Einzige, in dem wir uns ähneln.“
Dominic Friedel hat das in einer ziemlich kühnen Anordnung auf der Studiobühne inszeniert. Am Anfang reißen die Spieler Papierbahnen von einem Kubus, um den das Publikum in einer einzigen Stuhlreihe herum sitzt.
Mit dieser metaphorischen Enthüllung setzt Peter Schickarts Ausstattung das Geschehen buchstäblich mitten in den Raum – der drehbare Kasten kann Haus oder Käfig sein, Ort der Begegnung oder etwas, das Figuren herausschleudert. Die zweite wunderbare Setzung ist, Thomas als Gitarristen auftreten zu lassen – Robert Eder zupft das Instrument hin zu elektronisch stark verzerrten, Sigur-Rós-traurigen Sounds, die mindestens genauso viel erzählen wie die Geschichten der Figuren. Und vor allem: Diese Musikerfigur hilft enorm, die Spannung zu halten in Fritz Katers oftmals die einzelnen Geschichten nur anreißendem, manchmal gerade so dahingetupftem Stücktext-Blues.
Zum Ende gibt es einen Sehnsuchtschor, bei dem alle Spieler einschließlich des kleinen Jungen Dae Eun Choi (der Enkel von Thomas) um den Kubus herum die Positionen wechseln und jeweils eine kleine Gruppe von Zuschauern direkt ansprechen. Den Leuten der Generation 50 plus ist dabei deutlich anzumerken, wie sehr sie von dieser Erinnerung an große Aufbrüche und die vielleicht nicht ganz so glückselige, aber dafür einigermaßen sichere Gegenwart angerührt werden. Und Glück kann auch langweilig sein, so die letzte Ernüchterung in Katers Blues-Befund. Das ist ja nicht wenig für diese mentalitätsspezifisch ausgerichtete Unternehmung, die in ihrer Direktheit gewiss nur aus dem beherzten Zugriff der Regie erwachsen konnte. Und sie macht einen tatsächlich etwas nachdenklich. //