Auftritt
Staatsoper Berlin: Spektakulär ausspektakelt!
„Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss mit Text von Stefan Zweig nach Ben Jonson – Musikalische Leitung Christian Thielemann, Inszenierung Jan Philipp Gloger, Bühne Ben Baur, Kostüme Justina Klimczyk
Assoziationen: Theaterkritiken Musiktheater Jan Philipp Gloger Staatsoper Berlin

„Carausius morosus“ nennt sich ein Insekt aus der Ordnung der Gespenstschrecken. Sir Morosus heißt der wohlhabende, aber verbitterte britische Flottenadmiral seiner Majestät a. D., um den sich alles in Richard Strauss’ „Die Schweigsame Frau“ dreht. Ein Schelm, der Böses denkt. Donizettis „Don Pasquale“ lässt grüßen. Dabei sind die historischen Umstände der Uraufführung alles andere als heiter. Zur Premiere am 24. Juni 1935 an der Semperoper in Dresden hatte sich die Nomenklatura des NS-Regimes angekündigt. Doch Hitler und andere Nazi-Größen ließen sich nicht blicken. Man war verärgert, dass der Komponist und damalige Präsident der Reichsmusikkammer immer noch im Kontakt mit jenem stand, der das Libretto verfasst hatte. Und seinen Namen auf das Opernplakat setzen ließ. Gemeint war Stefan Zweig, der zu seinem Glück schon im Exil lebte. Nach der dritten Vorstellung erfolgte das endgültige Verbot für alle „reichsdeutschen Bühnen“.
Neunzig Jahre nach ihrer Uraufführung kommt „Die schweigsame Frau“ erstmals an die Staatsoper Berlin. Ungewöhnlich, da der Komponist hier – damals noch Hofoper Unter den Linden – von 1889 bis 1919 als Erster Kapellmeister wirkte. 1935 schenkte er dem Haus die Partitur, wie sein, wenn auch nicht unmittelbarer, Nachfolger Christian Thielemann nun im Pressegespräch betonte. Ob es an der anspruchsvollen Partitur lag? „Etwas Schwierigeres habe ich noch nie erlebt“, räumt Thielemann ein. Wie „Augenpulver“ sei ihm die Partitur „wegen der vielen Noten“ vorgekommen. Die freie Tonalität und die Länge des Stücks (knappe vier Stunden) seien eine Herausforderung.
Von Thielemanns Sorgen bei der Premiere keine Spur. Ein Triumph auf ganzer Linie. Eine grandiose Einstudierung! „Strauss hält den Menschen seiner Zeit einen Spiegel vor, und er tut dies nicht mit einem erhobenen Zeigefinger, sondern indem er ihnen – und jetzt wird’s raffiniert – die fürchterlichsten Wahrheiten in den allerschönsten Verpackungen reicht“, hatte er in seinem unlängst erschienenen Strauss-Buch geschrieben. „Wie bei Haustieren: Ich gebe meiner Katze ein Medikament und wickle es in ein Leckerli ein, sonst frisst sie es nämlich nicht.“
Thielemanns Leckerli waren weit, weit mehr als das. Große Kunst, wie er mit großer Sensibilität und Sinn für Zweigs altertümlich-schönen österreichischen Wortwitz jeder Gefühlsregung nachging, die Figuren in ihrem Parlando und Gesang nicht nur begleitete und für seelenvolle Momente sorgte, sondern sie auch animierte beim „balbieren“ (rasieren bzw. übervorteilen), „karbatschen“ (auspeitschen), „kujonieren“ (bösartig bedrängen), „scharmutzieren“ (ein Wortgeplänkel führen) oder „sponsieren“ (um ein Mädchen werben). Eingriffe in Zweigs (aus heutiger Sicht) misogynes Libretto, der sich wiederum an einer altenglischen Komödie des Shakespeare-Zeitgenossen Ben Jonson orientierte, wurden nicht vorgenommen. Eine zeitgemäße „frauenfreundliche“ Text-Version wäre bei diesem kongenialen Meisterwerk zwischen Dichter und Komponisten ohnehin nicht möglich gewesen. Zu sehr sind Text und Musik aufeinander abgestimmt und rhythmisch und melodisch miteinander verzahnt.
Die Story: Morosus (Peter Rose: vielschichtiges Charakterportät mit anrührenden Facetten) war einst ein hochdekorierter Kapitän. Nun ist er alt und einsam und sehnt sich nach Liebe. Abschreckend wie eine Gespenstschrecke hasst er alle und alles. Besonders den Lärm. Das Geschwätz seiner Haushälterin (Iris Vermillion: schauspielerisch und sängerisch brillant) geht ihm auf die Nerven. Auch Musik kann er nicht ausstehen, weshalb er seinen Neffen Henry (Syanbonga Maqungo: strahlende Spitzentöne bei lauen Tiefen), der Tenor einer Operntruppe ist, enterbt. Seinen Barbier Schneidebart, der hier als Physiotherapeut auftritt (Samuel Hasselhorn: elegant mit klangvollem Bariton), beauftragt er, ihm eine „schweigsame“ Frau zu besorgen. Seine Wahl fällt auf Aminta, die sich als „Timida“ (scheu) vorstellt und damit die anderen Kandidatinnen Carlotta (Rebecka Wallroth) als bayerischer Trampel und die quasselnde Isotta (Serafina Starke) aussticht. Es kommt, wie es immer in Commedia dell'Arte-Stücken kommt. Der Alte soll geprellt werden. Eine Scheinehe wird arrangiert, denn Aminta (Brenda Rae: großartig in ihren Koloraturen–Zorn mit zuckersüß einfühlsamen Momenten) ist eigentlich Henrys Frau. Und der sieht nun seine Chance, an das Vermögen seines Onkels (wieder) zu kommen …
Oben auf der Bühne gilt es für den Dirigenten, den exaltierten Wortgefechten und Bewegungen im wahnsinnigen Tempo zu folgen. Unten im Graben für nuancenreiche und rhythmisch gestochen scharfe und opulente Musik mit Zitaten und Anspielungen auf dreihundert Jahre Oper zu sorgen: Dies alles fein auszutarieren ist bereits eine Meisterleistung für sich.
Ein Kraftakt auch für den Regisseur Jan Philipp Gloger: „Die Sänger müssen mit jeder Bewegung bei der Musik bleiben, sonst läuft die Musik ins Leere.“ Seine Inszenierung stellt er unter die Motti Alterseinsamkeit und Wohnungsknappheit. Auf die Leinwand projizierte Zitate zu den Themen sowie Immobilien-Anzeigen wirkten aufgesetzt, denn Wohnungsnot kommt in der Oper nicht vor. Auch die biedere, sparsam dekorierte Berliner Altbauwohnung (Bühnenbild: Ben Baur), in der der stinkreiche Sir lebt, taugt nicht für Gesellschaftskritik. Als Regisseur gilt es eigentlich, das Milieu, das man kritisieren will, zu studieren – etwa durch historische Spielfilme oder einen Blick in eine der hochherrschaftlichen Wohnungen am Ku’damm. Die knallbunte Schein-Hochzeit im Las-Vegas-Stil im zweiten Akt mit einem Pfarrer als Elvis-Verschnitt wiederum wirkte in ihrer kindischen Albernheit fast schon wieder amüsant. Herrlich gelungen aber dafür die Monteverdi-Persiflage im dritten Akt. Spektakulär ausspektakelt! Bravo, bravissimo!
Erschienen am 23.7.2025