Essay
Einübung der eigenen Abwesenheit
Über VR-Theater – Ein Essay
von Clemens J. Setz
Erschienen in: Theater der Zeit: Elektro-Theater – Der virtuelle Raum (04/2021)
Assoziationen: Dossier: Digitales Theater Theater Freiburg
Man darf momentan nicht als Mensch ins Theater gehen. Aber es ist natürlich erlaubt, es als körperlos schwebendes Bewusstsein, das heißt, als Gespenst zu betreten. Dafür benötigt man eine Virtual-Reality-Brille. Zwei deutschsprachige Schauspielhäuser waren so freundlich, mir für einige Tage eine solche Brille zu leihen, auf der, als dreidimensionale Filmclips gespeichert, zwei aktuelle Inszenierungen von Theaterstücken zu sehen waren: einerseits das Schauspielhaus Graz mit dem Stück „Krasnojarsk“ des vor Kurzem durch seinen Roman „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ auch bei uns bekannter gewordenen Norwegers Johan Harstad, und andererseits das Staatstheater Augsburg mit Einar Schleefs kurzem Monolog „14 Vorhänge“.
„Krasnojarsk“, bereits 2008 verfasst und nun inszeniert von Tom Feichtinger, ist eine postapokalyptische Fantasie. Ein Mann ist madmaxhaft allein im Trümmerland unterwegs, da trifft er – nein, man muss es etwas klischeevoller formulieren, da läuft ihm eine Frau zu, die bislang ebenso allein durch das Nichts geirrt ist. Die beiden erleben einige Szenen der Annäherung miteinander, er konzentriert, rau und methodisch, die Frau dagegen tierhaft verschreckt und ständig fluchtbereit. Am Ende werden sie von düsteren Mächten eingeholt, verkörpert durch eine irgendwie konturlos bleibende und wenig greifbare Bande umherziehender Halunken. Eine wichtige Rolle spielen „Berichte“, über die die Frau verfügt, das heißt schriftliche...