Theater der Zeit

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Theater Konstanz: Generation Größenwahn

„Tot sind wir nicht“ von Svenja Viola Bungarten – Regie Swen Lasse Awe, Bühne und Kostüme Janna Keltsch, Musik Philipp Koelges

von Elisabeth Maier

Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)

Assoziationen: Sprechtheater Theaterkritiken Baden-Württemberg Theater Konstanz

Odo Jergitsch, Kristina Lotta Kahlert, Angelika Bartsch, Sabine Martin in  „Tot sind wir nicht“ von Svenja Viola Bungarten, Regie  Swen Lasse Awe. Foto Milena Schilling
Odo Jergitsch, Kristina Lotta Kahlert, Angelika Bartsch, Sabine Martin in „Tot sind wir nicht“ von Svenja Viola Bungarten, Regie Swen Lasse AweFoto: Milena Schilling

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Zwei Seniorinnen mit Handtäschchen und Wollmänteln verticken an der Straßenecke Medikamente. Dunkelheit verbirgt ihr Verbrechen. Die Pillen hat Ute K. ihrem todkranken Mann Willy gestohlen. Der soll verrecken, während sie und ihre Lebensfreundin Beate vom sorglosen Ruhestand im japanischen Okinawa träumen. Mit dieser harten Setzung beginnt Svenja Viola Bungartens erstes Stück „Tot sind wir nicht“ in der Spiegelhalle des Stadttheaters Konstanz. Dann umspült gelbes Licht die Szenerie. Das macht das Geschehen in der zum Theater umgebauten Schiffshalle am Bodensee unwirklich.

Als psychedelisches Traumspiel inszeniert der Regisseur Swen Lasse Awe das dramatische Debüt der Autorin. Orgelmusik und elektronische Klänge transformiert Philipp Koelges in seiner Musik in einen erregten Fluss. Die Vielfalt der Klänge und der musikalischen Motive ist berauschend. Die Intention an das Publikum ist klar: Man muss den Boden der Realität verlassen, um Bungartens Botschaft zu verstehen. So löst der junge Regisseur die große Schwäche des Textes auf, der sich in allzu langen Dialogschleifen und in nichtssagenden Späßchen verliert. Top-Themen wie Altersarmut, der Bestattungsindustrie oder der Angst vor dem Altern betrachtet Bungarten mit schwarzem Humor. Doch der realistische Rahmen, in den sie sich selbst zwingt, leiert die Kraft ihrer Sprachbilder und ihre Begabung für das Absurde aus.

Da setzt Swen Lasse Awe die Säge an. In Jana Keltschs schlichtem Bühnenbild aus beweglichen Holzkammern, die an ein Gefängnis erinnern, entfaltet er die skurrile Szenenfolge über zwei Frauen, die dem Tod trotzen. Dabei kürzt er überflüssigen Textballast. Mit der starken Lichtregie wandelt sich die Szenerie auf der offenen Bühne in der ehemaligen Schiffshalle. In kaltblaues Licht getaucht, erinnern die Holzlatten an Kühlkammern, in denen die hippe Start-up-Gründerin Franka todkranke Menschen einfriert – mit der Hoffnung, dass sie eines Tages wieder erwachen und dann geheilt werden könnten. Die Frau, die sich mit der Angst vor dem Tod eine goldene Nase verdient, spielt Kristina Lotta Kahlert ebenso kalt wie verletzlich.

Das surreale Regiekonzept Awes geht auf, weil sich das Ensemble auf seine Gratwanderung zwischen den Wirklichkeitsebenen einlässt. Sabine Martin als Ute K. mutiert von der einfältigen Omi-Figur zu einer starken Frau, die sich der eigenen Krebskrankheit und damit dem Tod stellt. „Das zwischen uns ist größer als eine Heimlichkeit“, raunt zärtlich ihre Freundin Beate. Damit spielt sie auf die Liebesgeschichte an, die sich zwischen den beiden alten Frauen entspinnt. „Ute K., Du bist schön“, sagt Angelika Bartsch mit ihrer dunkel klingenden Stimme. Damit gibt die Schauspielerin den Seniorinnen die Würde zurück, die ihnen in der Gesellschaft niemand mehr zugestehen will. In Momenten wie diesem zeigt sich Bungartens Gespür für menscliche Beziehungen.

Viel mehr noch ist „Tot sind wir nicht“ ein politisches Stück. In den Größenfantasien des jungen Bestatters Jason offenbart sich die Skrupellosigkeit einer Generation, die selbst aus dem Tod Kapital schlagen will. Scharf geht Bungarten mit der westlichen Begräbniskultur ins Gericht, die nur auf Profit ausgerichtet ist und die Menschenwürde dabei immer gnadenlloser ignoriert. Würdevoll Abschied nehmen, das können sich nur noch die Reichen leisten. Gnadenlos verfolgt der Jungunternehmer, den Dominik Puhl betörend skurril verzerrt, seine Ziele: „Ich gründe ein Imperium, aufgebaut auf der größten Gewissheit des Menschen. Dem Tod.“ Zu Philipp Koelges‘ martialischer Musik entfaltet Puhl ein Körpertheater, das seine Mitspieler wie auch das Publikum verzückt. Den verblichenen Ehemann Willy will er mit einem Riesenspektakel unter die Erde bringen. Der Fan des Ozean-Filmklassikers „Free Willy“ soll in einem Orca-Wal die ewige Ruhe finden. Diese irren Bilder lässt Regisseur Awe die Akteure erzählen. Wenn die Bühnensprache versagt, entfaltet die Musik ihre Kraft. Dennoch lässt die Regie auch den komischen Momenten Raum. Der wunderbare Komödiant Odo Jergitsch als sein Onkel und scheidender Besitzer des Bestattungsunternehmens reagiert da ganz locker. Ihm bleiben Gelassenheit und Humor.

Mit dem starken Schauspielensemble und mit einem musikalischen Format, das sich von den starren Dialogen löst, lenkt Swen Lasse Awe den Blick auf die Sprachkraft und auf die inhaltlichen Qualitäten des Texts. Sein Blick auf das Debüt macht Lust, diese spannende junge Theaterautorin zu entdecken. Ihren klugen, kritischen Blick auf eine Gesellschaft, die das Alter verdrängt und stattdessen die permanente Selbstoptimierung predigt, hat der Regisseur kongenial in Szene gesetzt.

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