In der Schatzkammer des Welttheaters
Hat das chinesische Sprechtheater eine Tradition?
von Lin Zhaohua
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: China (12/2015)
Assoziationen: Asien Sprechtheater
Wenn über Tradition gesprochen wird, überkommt mich immer ein unruhiges Gefühl. Unsere Theaterexperten beschwören regelmäßig das Weitergeben der Tradition, doch hat das chinesische Sprechtheater überhaupt eine Tradition? Nein! Und wenn ja, dann kommt sie aus dem Ausland. Die „Tradition“, von der wir seit Jahren sprechen, war von Anfang an westlich. Der revolutionäre Realismus in den ersten Jahren der Volksrepublik, Stanislawski usw., kamen aus der Sowjetunion.
Wenn man überlegt, hatte Herr Jiao Juyin (1905 bis 1975, einer der berühmtesten chinesischen Theaterregisseure und -theoretiker, Anm.d.Red.) kein leichtes Leben, fast wäre er als Rechtsabweichler verurteilt worden, zum Glück gab es seine Inszenierung des Stücks „Das Teehaus“ von Lao She – ein Denkmal der „chinesischen Schule“ und ein Aushängeschild des Beijinger Volkskunsttheaters, was gäbe es sonst über das Volkskunsttheater zu sagen!
Ich habe Respekt vor der Tradition des Volkskunsttheaters, doch mein Respekt gilt der „chinesischen Schule“, wie Herr Jiao Juyin sie in den 1950er Jahren initiierte. Meiner Meinung nach ist nur sie die Essenz des Volkskunsttheaters. Herr Jiao war bewandert in chinesischer und westlicher Kultur, sein Aufführungssystem ist eine Verschmelzung zwischen der Ästhetik des traditionellen chinesischen Musiktheaters und der westlichen Methode, Theater zu machen; darüber ist es wirklich wert zu schreiben – die Verbindung...