Kleines Handbuch des Schauspielers
Quelle 16
von Dario Fo
Erschienen in: Lektionen 3: Schauspielen Theorie (12/2010)
Assoziationen: Theatergeschichte Schauspiel
Die Schauspieler der Commedia dell’arte verfügten über ein unglaubliches Reservoir an Situationen, Dialogen, Gags, Floskeln und Schwafeleien, die sie sämtlich auswendig kannten und deren sie sich im richtigen Augenblick mit großem Stilgefühl bedienten und so den Eindruck vermittelten, als spielten sie aus dem Stegreif. Es war ein Besitzstand, der sich in der Praxis ungezählter Auftritte aufgebaut hatte, aus den unterschiedlichsten Stücken stammte und zum Teil direkt in den Vorstellungen entstanden war. Der größte Teil war mit Sicherheit das Ergebnis von Probieren und Lernen. Jeder Schauspieler lernte Dutzende von „Tiraden“ zu den verschiedenen Inhalten, die der Rolle oder der Maske entsprachen, die er zu spielen hatte. Von Isabella Andreini kennen wir eine große Anzahl leidenschaftlicher und witziger Monologe für verliebte Frauen: Zorn, Wut, Eifersucht, Verachtung, Sehnsucht, Verzweiflung. Alle diese Versatzstücke konnten in den unterschiedlichsten Situationen angewandt oder sogar umgedreht und zur Unterbrechung eines Dialogs eingesetzt werden. Ein Beispiel: Eine Frau spielt Wut und Verachtung, verbirgt dahinter jedoch eine unersättliche Sehnsucht. Mitten in ihrer „Tirade“ vergibt sie dem Liebhaber, der nun seinerseits den Beleidigten spielt und sie sogar zu hassen beginnt. Die Frau stürzt sich auf ihn, überhäuft ihn mit Schimpfwörtern, setzt zu einer grotesken Schmährede gegen den Jüngling an, wobei sie...