Nachruf
„Es ist schon gut, dass wir Theater machen und diese Welt nicht mit unseren Unfähigkeiten belasten.”
Ein Brief an Manuel Soubeyrand
von Matthias Brenner
Erschienen in: Theater der Zeit: Tarife & Theater – Warum wir das Theater brauchen (02/2023)
Assoziationen: Akteure Manuel Soubeyrand Württembergische Landesbühne Esslingen Neue Bühne Senftenberg

Mein lieber Manuel!
Wir hatten das eine oder andere Bier miteinander getrunken, und ich erinnere mich gut, dass Du Dir Dein Nachtlager auf hartem Kellerboden mit einer Luftmatratze einzurichten versuchtest. Aus meinen Augenwinkeln sah ich, wie Du die Luftmatratze nach dem Aufblasen mit einem Bleistift verschließen wolltest, da der Stöpsel fehlte. Betont leise und dadurch doppelt geräuschvoll presstest Du Deine Atemluft aus vollen Backen, zünftigen Pferdefurzen gleich, in das Innere der Matratze. Es gelang Dir nicht gleich, mit dem Bleistift das Ventil zu verschließen. Erst mehrere verzweifelte Versuche später blieb der Bleistift da, wo du ihn haben wolltest. Du legtest dich nieder und sahst mir plötzlich, Kopfkissen an Kopfkissen, in die Augen. Und als ich Dich darüber aufklärte, dass es leichter ist, eine Luftmatratze aufzublasen, wenn man nicht drauf liegt, grinstest Du: „Es ist schon gut so, dass wir Theater machen und diese Welt nicht mit unseren Unfähigkeiten belasten.”
Da schoss der Bleistift mit voller Wucht gegen meine Stirn, Bierdunst erfüllte die Szene. Als ich den Bleistift rüberreichen und Dir anbieten wollte, beim nächsten Aufblasversuch zu helfen, warst Du bereits selig eingeschlafen.
Das war im Sommer I98I, als wir für knapp drei Wochen durch das katholische Eichsfeld in Thüringen zogen, um dort, im damaligen Grenzgebiet, unter dem Namen „Schlampampe” Theater zu spielen. Wir waren Studenten in der letzten Dekade der DDR. Wir dachten politisch und träumten davon, dieses Land mit unserer Theaterkunst einmal verbessern zu können, eigene Ensembles zu gründen und Verantwortung in dieser Welt zu übernehmen. Unser Pferdewagentheater war Ausdruck unseres Urmotivs, spielerisch in diese Welt einzugreifen.
Die DDR gibt es nicht mehr, unsere Studienzeit ist lange her, aber uns gab es noch, Manuel, bis vergangenes Weihnachten gemeinsam auf dieser Welt – und wie! Du hattest Wort gehalten und als Erster von uns beiden ein Ensemble geleitet. In Chemnitz, gar nicht lange nach der Wende. Schon da habe ich Dich auf Deinem Weg mit zwei Inszenierungen begleiten dürfen. Dann hast Du die Reise in den Westen nach Esslingen angetreten, um dort Intendant der Württembergischen Landesbühne zu werden. Unter Deinen Händen hat sich dieses Theater den Ruf eines Sprungbretts für junge Schauspieler erarbeitet. Ich war beeindruckt zu erleben, mit welcher Klarheit, Fairness und Liebe Du Deinen meist „Anfänger-Schauspielern“ ein toller und konsequenter Chef warst. Du gehörtest nicht zu den Theaterchefs, die beleidigt sind, wenn ihre Schauspieler nach einigen Jahren das Haus verlassen, um neue Wege zu gehen, sondern im Gegenteil, Du warst stolz darauf, wenn sie das taten, weil Du ein Ermöglicher für sie warst.
Ich habe Dir, lieber Manuel, damals über die Schulter sehen dürfen, während meiner insgesamt fünf Inszenierungen in Esslingen. Genauso wie Deine Schauspieler habe ich mich sehr sicher und gemeint gefühlt in deiner strukturierten Ruhe im harten Alltag des Theatergeschäfts und musste später, da ich selber ein Theater zu leiten begann, oft an Dich und Deine Maxime denken. Dann kam Senftenberg. Und ich gebe zu, ich dachte, dass das kleinste von „Deinen“ Theatern die letzte Station vor Deinem Rentendasein werden würde. Ich hätte Dir ein größeres Haus und mehr Beachtung in der Branche gewünscht. Das stand Dir meiner Meinung nach zu, lieber Freund. Doch Du reagiertest wie immer ruhig und besonnen, konzentriertest Dich auf die Arbeit. Diese Ruhe, auf hartem Boden zu bestehen, hattest Du eben damals schon. Ja, auf jenem Kellerboden auf der entleerten Luftmatratze lieber einzuschlafen, als Dich sinnlos dem Stress hinzugeben. Das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen – das war und bleibt Deine Weisheit. Diese bildete den Nährboden, Deine närrische Seele für uns alle zum Tanzen zu bringen.
Ich grüße Dich von ganzem Herzen, mein wunderbarer, gegangener Freund. Damit ist es jetzt an uns, unablässig von Dir zu erzählen, das Andenken an Dich wachzuhalten, auch Deiner Familie verbunden zu bleiben, um Dich nahe zu haben.
Ein Leben lang.
In gedankenvoller Trauer
Dein Matthias