Quelle 9: Imitation des Lebens – was die Schildkröte uns lehrt
von Wenzel Mracek
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
Kein Anfang
Es ist kaum eindeutig feststellbar, wann und wo die Geschichte der Roboter ihren Ausgang genommen haben mag: Ob ihre frühen Anfänge in mythologischen Überlieferungen zu finden sind, denen der Autor John Cohen1 jedoch in den meisten Fällen fiktiven Charakter attestierte, lässt sich bezweifeln. Vielleicht sollte man im Fall der mythologischen Berichte eher von rudimentären Maschinen sprechen, in einigen Fällen vielleicht von Automaten, deren Funktion magischen oder göttlichen Eigenschaften und Vorgängen geschuldet war. So beschreibt der griechische Philosoph Philostratos das steinerne Bild des Memnon, das bei Sonnenaufgang zu sprechen begann. Der britische Kunsthistoriker Tom Flynn zitiert Euripides: „Dädalus’ Werke scheinen sich alle zu bewegen, und seine Statuen zu sprechen; was für ein Kerl!“2 Nach dem mythologischen Ingenieur Dädalus wird der früharchaische Stil der dädalische genannt: Seine anthropomorphen Plastiken seien so lebendig gewesen, berichtet Platon, dass man sie am Fortlaufen hätte hindern müssen.3 Weiter soll auf Kreta der bronzene Riese Talos, ein Geschöpf des Hephaistos, die Strände bewacht und Eindringlinge an seiner rot glühenden Brust zerdrückt haben. Auch sollen die sprechenden Köpfe der biblischen Hebräer, sogenannte Teraphim, unter deren Zunge man eine goldene Platte mit Zaubersprüchen (vergleichbar einem Programm?) vermutete, die Zukunft geweissagt haben. Diese Kunst...