Normalerweise habe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Saison, im hyperaktiven Theater-Mai, mehrere Tausend Kilometer in den Knochen. Berlin – Bamberg, Berlin – Hamburg, Berlin – Osnabrück, Berlin – Mannheim – als Jurorin der Mülheimer Theatertage kennt man solche Bahnstrecken auswendig. Die sieben neuen Stücke, die wir – ein Gremium aus drei Kritikerinnen und zwei Kritikern – jede Saison aus den etwa 100 bis 120 Uraufführungen des deutschsprachigen Theaterraumes auswählen, sind buchstäblich erfahren.
Dieses Jahr waren freilich ganz andere Tools gefragt als die obligatorischen Noise-Cancelling-Kopfhörer für lange ICE-Reisen. Rückblickend lässt sich sogar sagen, dass das Auswahlprozedere unter Pandemiebedingungen die geradezu entgegengesetzte Energieleistung zu jener Langmut erfordert, die man sich ob der notorischen Defizite der Bahn über die Jahre mühselig antrainiert hat: Theater im Binge-Watching-Modus; Bamberg, Hamburg, Osnabrück und Mannheim im Stakkato auf dem heimischen Laptop, wechselweise als online gestreamte „Geisterpremiere“ vor leerem Zuschauerraum oder als Aufzeichnung eines jener raren Abende, die es dank glücklichen Timings zu einer „echten“ Premiere vor dezimiertem Publikum gebracht hatten. Erstaunlich, was für eine konkrete Wahrheitsdimension – so allein vorm Display – plötzlich Redensarten bekommen können, die branchenintern eigentlich als Plattitüden-No-Gos geächtet sind! Die Binse vom Theater als Sozialevent ist nur eine davon.
Dass die schöne...