Calixto Bieitos Inszenierung von Mozarts Entführung aus dem Serail aus dem Jahr 2004 an der Komischen Oper Berlin[1] war und ist vielleicht die am stärksten umstrittene, am heftigsten angefeindete Produktion der letzten Jahre und dabei – wie ich vermute – auch eine der erfolgreichsten. Die Argumente für und wider diese Inszenierung sind ausführlich ausgetauscht worden, im Sponsoren- und Freundeskreis der Komischen Oper, in Publikumsgesprächen und Universitätsseminaren und natürlich in der Presse, vom Qualitäts-Feuilleton bis zum Boulevard. Die BZ, das Berliner Blatt mit den höchsten Auflagenzahlen, widmete der Inszenierung am 22. Juni 2004 die komplette Titelseite („Sex-Skandal an Komischer Oper – Und dafür gibt’s auch noch Steuergelder!“) und zwei weitere Seiten im Mittelteil.[2]
Ich möchte die Liste der Pros und Contras hier nicht um eine weitere Stellungnahme erweitern; mir geht es stattdessen um einen Versuch, die Inszenierung noch aus einem anderen Blickwinkel in Augenschein zu nehmen – einem Blickwinkel, der den Ort und die Aufführungstradition des Ortes mit berücksichtigt, also Bieito durch die Brille des felsensteinschen Konzepts betrachtet.
Für diesen Zusammenhang wie bestellt, konnte man in der Zeitung der Komischen Oper auf der Contra-Seite folgende Publikumszuschrift eines Schulleiters aus Treptow-Köpenick lesen: „Dass das realistisches Musiktheater im Sinne Felsensteins...