Auftritt
Festspielhaus Baden-Baden: Konzertantes Musiktheater der Extraklasse
„Tosca“ von Giacomo Puccini, Libretto von Luigi Illica nach Victorien Sardou– Musikalische Leitung Domingo Hindoyan
von Georg Rudiger
Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Musiktheater Festspielhaus Baden-Baden

Es ist einer der dramatischen Momente der Operngeschichte. Mario Cavaradossi wird angeblich zum Schein erschossen. Seine Geliebte Floria Tosca geht zu ihm hin und realisiert, dass er wirklich getötet wurde. Sonya Yonchevas Schrei bei der konzertanten Aufführung von Giacomo Puccinis Opernschocker geht durch Mark und Bein. Die Erschießungsszene ist gar nicht zu sehen – das ganze Drama wird durch die Intensität von Yonchevas Spiel und Gesang imaginiert. Die vorzüglichen Blechbläser des Gstaad Festival Orchestra heizen das Geschehen mit geschärften Akkorden auf, die Streicher verbreiten Panik. Ihre letzten Töne mit dem Sprung zum hohen B versieht Yoncheva mit Wucht und Strahlkraft – Marios Melodie seiner Arie „E lucevan le stelle“ kehrt nochmals im von Dirigent Domingo Hindoyan bis zum Bersten gespannten Unisono zurück, ehe er den letzten Akkord abreißt und sich die aufgestaute Spannung im ausverkauften Festspielhaus Baden-Baden sofort in enthusiastischem Jubel entlädt.
Diese „Tosca“ entfaltet enorme dramatische Intensität und großen musikalischen Reichtum. Die Produktion des Gstaad Menuhin Festivals ist der Start einer auf drei Jahre angelegten Zusammenarbeit mit dem Festspielhaus Baden-Baden. Und füllt damit zumindest ein wenig die Lücke, die durch das fehlende Mariinsky Theater, das aufgrund politischer Gründe aus dem Programm genommen wurde, entstanden ist. Puccinis Oper eignet sich aber auch sehr gut für eine halbszenische Aufführung (ohne Kostüm und Bühnenbild), weil schon in der Musik so viel Szene steckt wie in kaum einer anderen Oper. Morgenglocken, die das allmähliche Erwachen Rom suggerieren, ein Erschießungskommando, das mit lauter werdenden Trommelwirbeln immer näher kommt oder auch die abseits der Bühne stattfindende Folter von Cavaradossi, die durch Schmerzensschreie ganz bildhaft wird. Das Gstaad Festival Orchestra entwickelt unter dem unprätentiösen, musikalischen, präzisen Dirigat von Domingo Hindoyan einen enorm plastischen Orchesterklang, der die Extreme bedient, aber nie das vorzügliche Solistenensemble zudeckt. Auch die Nebenrollen sind mit David Oštrek (Cesare Angelotti), Matteo Peirone (Mesner), Álvaro Zambrano (Spoletta) und Kim Wettenschwiler als berührender Hirtenknabe gut besetzt. Der mit Sonya Yoncheva verheiratete Venezolaner atmet die Gesangsphrasen mit und gibt den Solist:innrn Freiheit, ohne dabei die Führung zu verlieren. Die Horngruppe ist ein Ereignis, das schwere Blech hat Wucht, ohne brutal zu werden. Hindoyan betont im ersten Akt, als das Liebesglück zwischen Tosca und Cavaradossi noch möglich scheint, die warmen Farben und kantablen Linien. Aber auch die schnellen Stimmungswechsel werden präzise umgesetzt. Dass sich das Drama nach und nach zuspitzt, hört man auch im Orchesterklang, wo die Konturen schärfer werden und eine Sogwirkung entsteht, von der man sich gerne mitreißen lässt.
Riccardo Massi ist ein eher lyrischer, wunderbar kantabler Cavaradossi mit schwereloser Höhe. Einzelne Spitzentöne hält er länger als gewöhnlich und verleiht ihnen Intensität. Die vom transparenten Celloquartett und dem schön schlicht gespielten Klarinettensolo eingeleitete Arie „E lucevan le stelle“, die er nur am Ende etwas zu stark forciert, gestaltet er als berührende Innensicht. Nur darstellerisch fehlt ihm etwas die Präsenz eines Erwin Schrott, der die Rolle des sadistischen, triebgesteuerten Polizeichefs mit jeder Faser verkörpert. Eindrucksvoll, wenn der Bassbariton am Ende des ersten Akts in das immer lauter werdende Te Deum (homogen und klangvoll: Chor der Bühnen Bern) einstimmt und seinen dunklen Absichten mit viel Metall in der Stimme präsentiert. Auch im Leisen kann Schrott bedrohlich wirken. Scarpias Ausbrüche versieht er mit enormer Durchschlagskraft. Nur im Passaggio, dem Übergang zwischen Brust- und Kopfregister, fehlt seiner Stimme etwas die Flexibilität, so dass einzelne Töne aus der Gesangslinie herausfallen. Aber das Raue, Ungehobelte passt auch zur Rolle. Diesem Scarpia möchte man nicht begegnen.
Sonya Yoncheva betont in ihrer Rollenzeichnung die Entwicklung Toscas von der koketten bis zur widerstandsfähigen Frau, die durch den Druck Scarpias härter geworden ist. Sowohl in der Tiefe als auch in der Höhe hat die Bulgarin noch an dramatischer Intensität zu gelegt, ohne dabei an Flexibilität zur verlieren. Ihre Arie „Vissi d ’arte“ gestaltet sie auf dem zarten Streicherteppich als Ruhepunkt im Sturm mit hier ganz dezentem Vibrato und einem wunderbaren Legato. Dann ersticht diese Tosca den nach ihr gierenden Scarpia. Und brüllt ihm ins Gesicht, dass er sterben soll. Im Nachspiel zaubert das Orchester ein Pianissimo, das die Spannung weiterträgt: packendes Musiktheater!
Erschienen am 31.8.2023