Wider binäre Dichotomien: Impulse der afrikanischen Kritik an westlichen Diskursen
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Einige afrikanische – vornehmlich weibliche – Wissenschaftler kritisieren die binär-dichotome Grundstruktur wissenschaftlicher Theorien, die selbst in feministischen oder postkolonialen Diskursen deutlich zutage tritt und Kulturen jenseits abendländischer Prägung und Geschichte fehlerhaft und innerhalb verfälschender Kategorien analysiert. So argumentiert Nkiru Nzegwu in Feminismus und Afrika: Auswirkung und Grenzen einer Metaphysik der Geschlechterverhältnisse:
Die in den Afrikawissenschaften vorherrschenden Definitionen von Geschlecht gingen zum größten Teil aus Disziplinen hervor, die innerhalb des westlichen Wissenskorpus angesiedelt sind. Oft sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht darüber im Klaren, wie sehr diese Definitionen durchdrungen sind von den Sitten und Normen der jüdisch-christlichen Tradition sowie den sozialen Konventionen europäischer und europäisch-amerikanischer Kulturen. Diese Auffassungen von Geschlecht bringen die politischen, sozialen und imperialistischen Historien ihrer Ursprungskulturen zum Ausdruck. Sie spiegeln gleichermaßen die binären Dichotomien, die der westlichen Epistemologie zugrunde liegen, in denen Frauen in Opposition zu Männern definiert werden, das heißt, mit gegenteiligen Attributen versehen werden.21
Nzegwu zeigt anhand der Forschungsarbeiten der nigerianischen Wissenschaftlerin Ifi Amadiume und der nordamerikanischen Wissenschaftlerin Martha Nussbaum zu Genderaspekten in der nigerianischen Igbo-Kultur, dass, obwohl insbesondere Erstere großen Wert darauf legt, den spezifischen kulturellen Kontext ihres Forschungsfelds genau zu beachten, beide Forscherinnen sich in ihren Analysen an der westlichen Geschlechterordnung orientieren....