Magazin
Die Post-Ost-Vision
Pläne für das KAHO in Berlin-Karlshorst
von Theresa Schütz
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Assoziationen: Berlin Dossier: Neubau & Sanierung
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Selbst als Berliner Theaterwissenschaftlerin muss ich gestehen, dass ich von diesem Theater noch nie gehört hatte. In Berlin-Karlshorst gibt es ein Theater? In der Tat. Der imposante neoklassizistische, denkmalgeschützte Bau steht genau neben dem gleichnamigen S-Bahnhof und wurde im vergangenen Herbst 2021 als Leuchtturmprojekt der Stiftung Stadtkultur wieder zum Leben erweckt. Zumindest für eine kurze Zeit. Denn nun wird das KAHO, wie sich der neue „Raum für Kultur“ nennt, erst einmal saniert, bis er 2025 als „multifunktionaler Veranstaltungsort“ wiedereröffnet werden soll.
Das für gut 600 Gäste entworfene „Dramatische Theater Karlshorst“ wurde 1948/49 als Reparationszahlung Deutschlands an die Sowjetunion unter der Bezeichnung „Militärobjekt Nr. 5“ errichtet und stand zunächst nur den Mitgliedern und Angehörigen der sowjetischen Besatzungsmacht offen. Erst Mitte der sechziger Jahre durften auch DDR-Bürger:innen im Saal Platz nehmen. Was bis zur Umwandlung jenes „Hauses der Offiziere“ in ein Nachwende-Privattheater außer Stücken von Maxim Gorki, Gastspielen der Pekingoper oder des russischen Staatsballetts auf dem Spielplan stand, entzieht sich allerdings größtenteils der Theatergeschichte. Denn dieses Wissen schlummert verschlossen im russischen Militärarchiv. Interessanterweise existieren auch nur wenige Dokumente zum Spielplan der ersten Nachwendejahre. Im Gebäude legen einige wenige, erhalten gebliebene Schaukästen Zeugnis darüber ab, dass hier in den nuller Jahren noch Liedermacher wie Reinhard Lakomy, Gerhard Schöne und das Duo Ulf und Zwulf auf der Bühne standen.
Was gleichfalls zur neueren Geschichte des Hauses gehört, sind seine interessanten Eigentumsverhältnisse. Denn 1994 wurde die Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg, die inzwischen zur landeseigenen HOWOGE gehört, Eigentümer. Letztere ließ bereits 2008 Gebäudeteile sanieren, verpachtete Segmente an die Lichtenberger Schostakowitsch-Musikschule und brachte das Theater dann in die 2018 gegründete Stiftung Stadtkultur ein. Diese kann so sowohl für den Umbau als auch für den Folgebetrieb Drittmittel akquirieren. Der Stiftung steht seit 2020 die Theaterwissenschaftlerin und ehemalige Leiterin der Schwankhalle Bremen, Pirkko Husemann, vor. Sie hat für das Interim ein vielseitiges Programm aus Performances, Lesungen, Filmen, Konzerten und Tanzabenden kuratiert. Es umfasste Auftragswerke wie den Audiowalk „Foyer“ von hannsjana oder die partizipative Performance „Rumpel-Wunder-Kammer“ von Mobile Albania ebenso wie eine Berlin-Premiere von Antonia Baehr & Lucile Desamory oder die Intervention „Asingleline“ der Choreograf:innen Fabrice Mazliah und May Zarhy – und damit vor allem Akteure aus der freien Szene.
Wird das KAHO dann ab 2025 vielleicht ein neues Haus für die freie Szene? Pirkko Husemann macht deutlich, dass man augenblicklich noch keine konkreten Angaben darüber treffen könne, was das KAHO programmatisch und betrieblich für ein Haus werde. Nichtsdestotrotz lässt sich heraushören, dass es erste Visionen gibt, so z. B. die einer räumlichen „Hausgemeinschaft“ von kunstproduzierenden Akteuren im angrenzenden Gebäude, in dem aktuell noch die HOWOGE sitzt. In jedem Fall soll der Kulturstandort für den Bezirk reaktiviert werden und mit spartenübergreifendem Angebot sowohl lokale als auch überregionale Publika ansprechen. Und das Interim verfolgte eben auch diesen Zweck: Erkenntnisse für ein trag- und zukunftsfähiges Betreiber- und Nutzungskonzept zu generieren.
Darüber hinaus ging es beim Interim aber auch explizit um einen Auftakt zur Spurensuche. Dass sich die Archivlücke mittels verkörperter biografischer Gedächtnisse angehen lässt, beweist unter anderem „Foyer“ von hannsjana. Das Kollektiv hat mit ehemaligen Besucher:innen des Theaters Zeitzeugen-Interviews geführt und Auszüge in ihren Walk montiert. So erfahren Teilnehmende, dass es im Gebäude früher schon muffig roch, dass stets viel Russisch im Publikum zu vernehmen war und dass sich besonders lebendig an Musicals, Kabarett-Aufführungen oder abgehaltene Jugendweihen erinnert wird. Als Pirkko Husemann mich bei unserem Gesprächstermin durch das Theater führt, das in Umfang, Schnitt und Baumaterialien an das HAU 1 erinnert, weist sie mich auf die Scheinwerfer hin, die noch aus dem ehemaligen Palast der Republik stammen sowie auf den kleinen Stern über der Harfe am Portal, der lediglich seine rote Farbe verloren habe. Nachträglich höre ich auf dem YouTube-Kanal das Gespräch „Erinnern stören“ zum gleichnamigen Band von Lydia Lierke (und Massimo Perinelli) nach und realisiere, dass eine Auseinandersetzung mit dem KAHO in seiner Geschichte, Gegenwart wie Zukunft zuvorderst eine Beschäftigung mit dem Verschwinden der DDR und der immer noch sehr lückenhaften Aufarbeitung postsowjetischer wie Ostberliner Geschichte ist. Und genau das ist KAHOs Alleinstellungsmerkmal. Mit dem Interim hat Husemann eine erinnerungspolitisch immens wichtige Einladung für einen gemeinsamen, multiperspektivischen Austausch über eine „Post-Ost“-Vision ausgesprochen und initiiert, im mehrfachen Sinne die Peripherie zum (neuen) Zentrum zu machen. //