Theater der Zeit

Auftritt

Schauspiel Frankfurt: Ego-Shooter der Weltpolitik

„Dingens“ von Hanoch Levin – Regie Sapir Heller, Bühne und Kostüme Ursula Gaisböck, Sophia Profanter, Musik Omer Klein

von Shirin Sojitrawalla

Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Sapir Heller Schauspiel Frankfurt

„Dingens“ von Hanoch Levin, Regie Sapir Heller, Bühne und Kostüme Ursula Gaisböck, Sophia Profanter. Foto Robert Schittko
„Dingens“ von Hanoch Levin, Regie Sapir Heller, Bühne und Kostüme Ursula Gaisböck, Sophia ProfanterFoto: Robert Schittko

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Unter der Decke hängen große schwarze Kugeln, ordentlich aufgereiht, sieben in jeder Reihe. Zweimal im Laufe des Abends donnert eine davon auf den Bühnenboden. Ein unheilvoller Vorgang, der an Krieg erinnert. Man erschrickt, ohne genau zu wissen, was es bedeutet. Später fallen lauter kleinere schwarze Kugeln aus dem Bühnenhimmel. Streumunition? Oder Sinnbild gesellschaftlichen Unbehagens? Die in Yves-Klein-Blau schillernde Braut Fogra (Lotte Schubert) gebärdet sich jedenfalls als Prinzessin auf der Kanonenkugel. Die düsteren Momente ereignen sich an einem Abend, der oberflächlich so harmlos und bunt daherkommt wie ein Brettspiel. Fogras Eltern Teigalech und Klamanope (Uwe Zerwer und Katharina Linder) sehen aus wie König und Dame im Schach. Titel-Antiheld Dingens, verkörpert von Christoph Bornmüller, kommt ganz in Schwarz daher in einem Kostüm, das sich als Buchstabe D lesen lässt, D wie Dingens. Soll aber wohl gar kein D, sondern ein Donut sein, wie das Programmheft weiß. So oder so ist dem Kostüm des Dingens das Katzbuckeln schon eingeschrieben. Dingens bildet in dieser Komödie von Hanoch Levin das Zentrum. Sein Ausschluss aus den Familienangelegenheiten von Teigalech und Klamanope steht am Anfang einer Geschichte über routinierte Unterdrückungsmechanismen und souveräne Verdinglichung. Hanoch Levin, der 1943 in Tel Aviv geboren wurde und 1999 ebendort starb, wurde auf deutschen Bühnen ab und zu, aber nie durchschlagend neu entdeckt. Die deutschsprachige Erstaufführung von „Dingens“ am Schauspiel Frankfurt entflammt nun die Neugier auf einen übersehenen Autor. Neugierig wäre man jetzt auch auf andere Inszenierungen von eben diesem Stück. Geschrieben hat Levin das Stück schon 1972, aber um Aktualität geht es der Regisseurin Sapir Heller an diesem Abend ohnehin nicht, sondern um Konstanten menschlichen Fehlverhaltens.

Die auftretenden Personen sind bei ihr keine Menschen aus Fleisch und Blut, sondern Spielfiguren, nicht tiefgründiger als Glasbausteine. Für die Ausstattung von Ursula Gaisböck und Sophia Profanter ist das ein Fest. Sie erschaffen eine „Mensch ärgere Dich nicht“-Spielfläche, Kostüme in Knallfarben sowie eine Frau, die wie der Tisch aussieht, den sie als Kellnerin bedient. Der Mensch ist hier vom Ding nur einen Spielzug entfernt. Soweit so schön, doch warum brüllen alle so? Es herrscht eine übersteuerte Aufgekratztheit, die den ohnehin absurden Text ins Extrem steigert. Die Inszenierung widersetzt sich dabei dem grotesken Realismus des Stücks, und umgeht so eine eindeutige Positionierung. Das ist einerseits schlau und lässt viel Interpretationsspielraum fürs Publikum, andererseits bleibt alles abgehoben und wie nicht von dieser Welt, also nicht weiter ernst zu nehmen. Wer gar nicht wüsste, worum es geht, würde aus dem Abend sowieso eher unaufgeklärt hinausgehen, aber auch alle anderen müssen sich fragen, was sich da eigentlich abgespielt hat.

Dass wir alle jemanden brauchen, dem es schlechter geht, um uns gut zu fühlen, was man auf Konfrontationen zwischen Nationen übertragen kann, ist dabei nur eine der Fährten des Stücks. Unwillkürlich denkt man an die aktuellen Ego-Shooter der Weltpolitik. Fogras Hochzeit und sein radikaler Ausschluss treiben Dingens schlussendlich in den Suizid. Doch selbst der, wenn auch herrlich in Szene gesetzt, lässt einen in Frankfurt kalt. Womöglich weil man zu diesem Zeitpunkt schon zwei Stunden Albernheit mit viel Geplärr und Gekasper hinter sich hat.
Einer der bewegendsten Momente gelingt Viktoria Miknevich, die ein hebräisches Lied voller Sehnsucht und Kraft singt. Manchmal in diesen zwei Stunden denkt man an den Nahost-Konflikt, das liegt nicht am Dargebotenen, sondern an der Herkunft des Autors.

Die aufkommende Frage, wer hier eigentlich die Spielfiguren führt, also das Spiel spielt, nimmt Heller im Programmheft vorweg und antwortet, es sei nicht Gott, sondern die Rollen, in denen die Figuren gefangen seien, ihre inneren Zwänge. Wenn Menschen aber aus eigenem Antrieb, egal wie zwanghaft er sein mag, zu Spielfiguren werden, wer trägt dann die Verantwortung für ihre Spielzüge, ergo Handlungen? In Frankfurt scheint es, als könnten sie nichts dafür, von hier nach da geschoben zu werden. Schön wär’s.

Erschienen am 19.2.2025

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