Auftritt
Deutsches Theater Göttingen: Gnadenlose Unruhe
„Pirsch“ von Ivana Sokola (UA) – Regie Christina Gegenbauer, Bühne, Kostüme und Video Frank Albert, Musik Nikolaj Efendi
von Lina Wölfel
Erschienen in: Theater der Zeit: Neue Dramatik (03/2023)
Assoziationen: Niedersachsen Theaterkritiken Dossier: Neue Dramatik Ivana Sokola Deutsches Theater Göttingen
Content-Note: Die Inszenierung „Pirsch“ am Deutschen Theater Göttingen beschäftigt sich mit sexueller Gewalt.
Man stelle sich vor, das Patriarchat wäre vogelfrei. Aus Jägern würden Gejagte. Aus Gejagten Jäger:innnen. Diejenigen, die sich bisher sicher gefühlt haben, müssten mit gesenkten Köpfen durch die Straßen laufen. Sie haben ihre Macht- und Deutungshoheit verloren. Sie werden verfolgt. Ihr Geschlecht reicht aus, um ihnen Täterschaft zu unterstellen. Und Täterschaft wird mit Selbstjustiz bestraft.
Marinka kehrt in ihr Heimatdorf zurück. Fünfzehn Jahre, nachdem sie auf dem Dorffest sexuell belästigt wurde. Zwischen Lampions, Zuckerwatteständen und Feuerwerk beginnt sie, sich zu erinnern. „Was passiert ist, ist ein Klischee“, sagt Marinka, als sie sich ihrem Bruder anvertraut. Er glaubt ihr nicht. Nein, er glaubt ihr, aber er will ihr nicht glauben. Redet ihre Erfahrung klein „überlass das Richten denen, die etwas davon verstehen, von der Verhältnismäßigkeit der Gefühle“. Und wenn die, die etwas davon verstehen sollten, es auch nicht verstehen wollen? „Ein Kuss gehört dazu. Das ist doch nur Spaß“. Marinka ist ein Fremdkörper. Eine Störenfriedin, die die Vergangenheit nicht ruhen lassen kann und damit den übrigen Dorfbewohner:innen das eine nehmen will, was sie außer ihrer Tristesse haben.
Also beschließt Marinka Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Übt Selbstjustiz. Gemeinsam...
