14. Urteilen
von Dan Richter
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Im Prozess des Improvisierens wirken, vereinfacht gesagt, zwei Geisteszustände – das freie, impulsive Assoziieren und die Analyse. Der analytische Verstand hört zu und wählt aus, formt und sortiert, was die freie Assoziation uns vorlegt. Im Idealfall ist dieses analytische Denken so eng mit dem Assoziieren verknüpft, dass wir uns weder des Einen noch des Anderen bewusst sind. Wir sind dann im Fluss.
Schwierig wird es immer dann, wenn der kritische Verstand dermaßen überhandnimmt, dass die freien Assoziationen keine Chance mehr haben, sich unvorhersehbar zu entfalten. Beim improvisierten Theater erkennen wir das oft daran, dass die Spieler in Bewegung und Sprache langsamer werden: Sie brauchen Zeit zum Nachdenken, sie wägen ihren nächsten Zug ab. In der Folge wird die Improvisation steif, fade, vorhersehbar, was der arme Improvisierer natürlich realisiert, woraufhin er noch mehr analysiert. Impro-Lehrer versuchen, diesen Teufelskreis mit der Aufforderung „Schalte das Denken aus!“ zu konterkarieren, aber das ist natürlich unsinnig. Abgesehen davon, dass wir gar nicht nicht-denken können, ist es solch ein Ziel selbst fragwürdig: Schließlich brauchen wir für schöne Improvisation nicht nur wache Sinne, sondern auch einen wachen Verstand. Wie aber zähmen wir das Urteilsmonster, damit es nicht überhandnimmt?