thema_stück
Worte schweigen, flüstern Geigen
von Elfriede Jelinek
Erschienen in: Theater der Zeit: Umkämpfte Vielfalt – Das Theater und die AfD (04/2019)
Assoziationen: Dramatik
Ich bin jetzt so lang neben den Mächtigen hergerannt und habe nach ihren Knöcheln geschnappt, ohne daß sie auch nur einen Kratzer davongetragen hätten, ich laufe immer noch, aber jetzt habe ich das Gefühl, daß aus dieser Sandbahn heraus – die Strecke ist noch hie und da mit altem Blut gesprenkelt – etwas nach mir schnappt. Und ich kann nichts davontragen, nicht einmal eine Wunde, und ich habe nichts mehr davon, daß ich schreie und beiße, es tut niemandem weh, und es befreit mich selbst nicht. Niemand hat etwas davon, die Wirklichkeit ist wie Gallerte, halb durchsichtig, aber weiter unten, in der Tiefe, sieht man nichts mehr, man sieht nur, was man uns an der Oberfläche sehen läßt, und das schaut doch recht harmlos aus. Auch das Neujahrskonzert wird nicht abgesagt, flüstern mir die Geigen zu. Und ich fürchte mich trotzdem. Das ist nur teilweise auf mein Alter zurückzuführen, in dem man sich natürlich hilfloser fühlt. Hätte ich noch den Mut, den ich einmal hatte, würde ich die Erstürmung des Bundesamts für Verfassungsschutz mit Hilfe einer bewaffneten, wenn auch wahrscheinlich unbedarften Polizei-Einheit, die Durchsuchung nach Akten, wer weiß, welchen Inhalts, wer kann es sich denken?, einen Putschversuch nennen, einen versuchten...