Heute mag jeder die ersten Takte seines Te Deum kennen, weil sie seit 1984 als Eurovisionsfanfare über das Fernsehen in die Wohnzimmer flimmern. Den Komponisten Charpentier (1643-1704) aber kennen nur wenige, allenfalls als Schöpfer geistlicher Werke. Charpentiers Médée, seine einzige Oper, wurde 1693 am Hofe des Sonnenkönigs uraufgeführt.
Medea: Barbarische Zauberin, Mörderin der eigenen Kinder – von ihrem Mann Jason betrogen, schmiedet sie einen grausamen Racheplan und tötet Jasons neue Frau, sowie ihre eigenen Söhne. Euripides' 3.000 Jahre alte „Medea“-Tragödie gab Stoff für mehr als ein Dutzend Opern. Charpentiers Drama hatte nun Premiere an der Staatsoper Unter den Linden.
Es war vorauszusehen: keine Opern-Inszenierung ohne „politische Aktualisierung“ – auch wenn sie an den Haaren herbeigezogen ist. Und so werden in Peter Sellars Inszenierung Médée (im orangefarbenen Guantanamo-Häkel-Kleid) und ihre Kinder zunächst in einem Internierungslager festgehalten, wo sie auf ihre drohende Abschiebung warten – umringt von schwarzgekleideten düsteren Typen mit Maschinengewehren. Das blutrünstige Eifersuchts-Ehe-Drama um die von ihrem Gatten Jason betrogene und verratene Médée wird also in Analogie zu einem Flüchtlingslager-Szenario gesetzt. Das ist mehr als plump. Das ist geschmacklos. Denn die allgemeine real existierende Gewalt an Frauen in Flüchtlingslagern wird hier von Sellars für die eigene Inszenierung instrumentalisiert. Médée ist...
Erschienen am 30.11.2023
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