Theater der Zeit

Auftritt

Theater Ulm: Traumgetriebene Theatersprache

„Madonnen“ von Amanda Lasker-Berlin – Regie Marlene Schäfer, Ausstattung Christin Treunert

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Amanda Lasker-Berlin Theater Ulm

Christel Mayr, Adele Schlichter und Maurizio Micksch in „Madonnen“ von Amanda Lasker-Berlin in der Regie von Marlene Schäfer am Theater Ulm. Foto Marc Lontzek
Christel Mayr, Adele Schlichter und Maurizio Micksch in „Madonnen“ von Amanda Lasker-Berlin in der Regie von Marlene Schäfer am Theater UlmFoto: Marc Lontzek

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Die Träume der Lehrerin Mechthild vom selbstbestimmten Leben als Frau scheitern an der Wirklichkeit. Mit ihrem Mann Hans-Günther, genannt „Hagü“, träumte sie einst an der Uni von starken Frauenbildern. Jetzt hat sie der Macho zum Weibchen gemacht. Sie ist ein seelisches Wrack, das sich nachts schlaflos im Bett windet. Die junge Autorin Amanda Lasker-Berlin verknüpft in ihrem Stück „Madonnen“ große weibliche Vorbilder mit vom Kleingeist zerfressenen, düsteren Lebenswirklichkeiten. Diesen Seiltanz setzt Schauspieldirektorin Marlene Anna Schäfer im Großen Haus des Theaters Ulm mit großen Bildern und berührenden Momenten in Szene.

Mit dem Auftragswerk ist Amanda Lasker-Berlin, die an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg Regie studiert hat, ein großer Wurf gelungen. Die Sprachkünstlerin, die mit ihrem Roman „Elijas Lied“ ebenso aufhorchen ließ wie mit dem Theaterstück „Ich, Wunderwerk und how much I love disturbing content“, geht auch im neuen Stück in die Tiefe. Am Theater Ulm hat sie in der vergangenen Spielzeit „Frankenstein“ in einer eigenen Fassung inszeniert. In ihren eigenen Regiearbeiten überträgt sie starke Sprachbilder in eine traumgetriebene Theatersprache. Dieses Prinzip lässt sich auch in ihren „Madonnen“ erkennen.

Ein riesiges, sakral anmutendes Haus hat Christin Treunert auf die große Ulmer Bühne gestellt. Das Publikum schaut in einen Kirchenraum. In dessen Zentrum steht eine Madonnenfigur, die Anouschka Herbst von der Statisterie des Theaters bemerkenswert ausfüllt. Ihre sachten Bewegungen passt sie der Ikone an. Wenn die Heilige vom Podest steigt, sorgt das für Gänsehautmomente.

Dass die 30-jährige Amanda Lasker-Berlin von der Theaterpraxis kommt, ist in den Chorszenen ebenso zu spüren wie in den Dialogen. Als Lehrerehepaar Mechthild und Hagü quälen sich Emma Lotta Wegner und Maurizio Miksch lustvoll in ihrem spießigen Alltag. Ohne seine Figur plump ins Lächerliche zu ziehen, sorgt der einzige Mann in der Produktion für komische Momente. Mit selbstgefälligem Grinsen schlägt der promovierte Psychologe das letzte bisschen Selbstbewusstsein seiner Frau in Scherben. Mit zerbrechlicher Stimme lässt Wegner tief in die Seele der lebenskranken Frau blicken. Sie ist „eine, die nicht schlafen kann“. Die Autorin schreibt den Figuren nur in Klammern Namen zu. Es sind die Zustände, die das Leben der Frauen prägen.

Schön erfasst die junge Autorin auch die Geschichte von drei Frauengenerationen, die von ihren Männern enttäuscht worden sind. Die Seniorin Ruth hat in der Liebe zu einer Frau die Erfüllung gefunden. Wie sehr sie darum in der Gesellschaft kämpfen musste, zeigt Christel Mayr tiefenscharf. Ihre Tochter Isolde durfte studieren, aber hat die lesbische Liebe der Mutter nie anerkannt. Eine Spur zu flapsig zeigt Friederike Pöschel ihre Figur. Die Enkelin Clara flüchtet sich in Träume von einem Kind aus der Retorte. Die Verzweiflung der jungen Geschäftsfrau lässt Adele Schlichter zart in ihre selbstbewusste Sprache hineintröpfeln. Die Kraft von Schäfers bildgewaltiger Inszenierung liegt nicht nur in den atmosphärischen Wechseln. Mit Videos und Lichtregie (Johannes Grebing) peitscht sie das Publikum von einer Zeitebene in die nächste. Im Chor lässt Amanda Lasker-Berlin die Ikonen der Frauenbewegung sprechen. Neben der Mutter Gottes ist das die Dichterin Sappho, die auf der Insel Lesbos ihre Liebe zu Frauen lebte. Die antike Dichterin ist heute eine Kultfigur der queeren Szene. Schließlich wirft die Autorin den Blick auch auf Emily Davison, die als Suffragette militant für die Rechte der Frauen stritt.

Leicht schafft es Lasker-Berlin durch das Stilmittel des Chors, von der universellen Ebene der Madonnen zu den Alltagsgeschichten zu wechseln – und wieder zurück. „Unsere Anfänge sind verwoben mit der Zeit zu einem unsichtbaren Netz und führen in Orte mit verschiedenen Namen: Nazareth, Lesbos, London. Ich bin ein Mädchen von irgendwo, jung wahrscheinlich, unauffällig wahrscheinlich. Ich bin die, über die es eigentlich keine Geschichten geben soll und muss, was gäbe es denn da zu sagen? Außer geboren werden, Kinder gebären, sterben?“

Diese Geschichten, „die eigentlich nicht geben sollte“, erzählen Amanda Lasker-Berlin und Marlene Schäfer in der großartigen Saisoneröffnung. Dass das Ulmer Theater die spannende junge Autorin in ihrer Vielseitigkeit fördert und zeigt, ist ein großer Gewinn. Ohne feministische Verbissenheit gibt die junge Theatermacherin den Frauen eine Stimme, die in toxischen Beziehungen verkümmern ohne dass sie zu männerhassenden Monstern mutieren. Dem setzt Amanda Lasker-Berlin starke Frauenbilder entgegen, die mutig ihren Weg gehen.

Erschienen am 16.9.2024

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