Vom Traum zum Raum
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Bislang habe ich das schwierige Thema des Raumes nur implizit bearbeitet, nämlich von Fragen der Bildlichkeit her. Doch damit ist vernachlässigt worden, dass gerade das 17. Jahrhundert eine Raumdiskussion in Gang setzt, die von nicht geringerer Bedeutung ist als der Streit um die Bildfläche und ihre perspektivischen Möglichkeiten. Kaum überraschend, kann die Anamorphose auch in diesem Fall als entscheidendes Schwellen- oder Faltgebilde »zwischen zwei« angesehen werden – Holbeins »Botschafter« lassen sich mit gleichem Recht als flächiges Gemälde wie als Rauminstallation diskutieren. Denn zu ihnen gehört, zumindest in ihrer Hängung in der Londoner National Gallery, notwendig die Ausgangstür, von der aus man den Totenschädel in entzerrter Form erblicken kann.
Freilich muss sehr genau gefragt werden, von welcher Vorstellung des Raumes überhaupt die Rede ist, handelt es sich doch bei ihm, nicht anders als beim Bild, um ein Phänomen, von dem verschiedenste Versionen kursieren. Dieses Kapitel wird sich in der Hauptsache mit dem relationalen Raumbegriff von Leibniz beschäftigen, ihn gegenüber zwei weiteren zentralen physikalischen Raumbestimmungen des 17. Jahrhunderts (Descartes und Newton) konturieren und in Zusammenhang mit Bühnenformen nach 1600 diskutieren. Die Raumvorstellung Leibniz’ wird im Kontext seiner Monadenlehre behandelt, die als Modell des allegorischen Barocktheaters angesehen werden kann und die darüber hinaus...