Wir kennen ihn alle: den Schauspieldramaturgen, der jeden zweiten Tag Bilder seines Mittagessens auf Instagram teilt. Oder den Herausgeber der Kulturzeitung, der Jahr für Jahr eine Reportage über sein selbst kreiertes Weihnachtsmenü veröffentlicht. Potente Distinktionsmechanismen sind heute eben eher dem gepflegten Hedonismus, dem Savoir-vivre verpflichtet als einem wie immer gearteten Bildungskanon: Der Sommelier hat den Musikkenner abgelöst. Und das nicht erst seit gestern. Aber seit heute steht diese Entwicklung in scharfem Kontrast zur Klimawandel-Diskussion, die uns als Memento mori dieser Tage mit der Forderung nach Entsagung konfrontiert.
Auf eben dieses Spannungsfeld fokussiert die brillante russische Theoretikerin und Intendantin des Vielspartenfestivals steirischer herbst, Ekaterina Degot, mit ihrem diesjährigen Festivalthema „Grand Hotel Abyss“, das als Georg-Lukács-Referenz zugleich die Verschränkung von Ost und West postuliert. Feiern am Abgrund! Dieses Bild zeigt auch, dass Degot die Steiermark verstanden hat und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Ort „ihres“ Festivals einladen will. Hier, im Südosten Österreichs, wo jedes Dorf mindestens zwei „Genusswanderwege“ aufbietet, hat der Hedonismus die Kultur längst auch als touristische Markenbotschaft abgelöst.
Und so funktioniert das Programm genau dort am besten, wo der Ort selbst eine Geschichte erzählt. Allen voran bei der Eröffnung, wo Degot ihre packende Ansprache im eindrucksvollen Ambiente der Landhaushof-Arkaden...