Theater der Zeit

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Jedem sein Ding?

„Performing the Archive“ – Die Konzeptionskonferenz für ein Archiv des freien Theaters sammelte in München Ideen

von Sabine Leucht

Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)

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Soll hier ein Kapitel Theatergeschichte pompös ad acta gelegt werden? Die Vielfalt und Herkunft der Projektträger, die hinter der Idee stecken, dem freien Theater in Deutschland ein Archiv zu errichten, spricht dagegen. Im Oktober hatte das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim unter dem Titel „Performing the Archive“ zur Konzeptionskonferenz nach München geladen, kurz bevor ein Bericht zu den möglichen Konturen eines solchen Archivs potenziellen Geldgebern vorgelegt werden musste, damit Machbarkeitsund Pilotstudien folgen können. Zu spät also, um noch Handlungsempfehlungen einzuspeisen, die Arbeitsgruppen, etwa aus der darstellenden Kunst selbst, der Theaterwissenschaft oder des Archiv- und Museumswesens vor Ort, erarbeitet haben? Vermutlich nicht, denn das Wissenschaftlerteam, das sich zunächst die harsche Kritik von Claudia Blank vom Deutschen Theatermuseum einfing, bisher komplett an den einschlägigen internationalen Theatersammlungen „vorbei gearbeitet“ zu haben, notierte am Ende der zweitägigen Veranstaltung immer noch weiter Anregungen.

Aus lokaler Perspektive befremdlich mutete das „Münchner Modell“ an, das Daniela Rippl vom hiesigen Kulturreferat auf den Verhandlungstisch legte, auch weil darin der kürzlich aus der Förderung gefallene Choreograf Micha Purucker als Paradepferd herumgaloppiert. Warum eine 2013 beim Festival Impulse in NRW geborene und in Niedersachsen administrativ entwickelte Idee ausgerechnet in München weitergesponnen wurde, hängt wohl damit zusammen, dass die Stadt altgediente Freischaffende künftig auch jenseits der üblichen Projektförderung weiter unterstützen will. Denn das Problem der Sichtbarkeit und Anerkennung eines inhaltlich wie ästhetisch eigenständigen Bereichs der Kunst, das ein künftiges Archiv zu lösen gedenkt, verschärft sich ganz schnell: Ohne Geld keine neuen Produktionen! Ob die performative Selbstarchivierung wie bei Puruckers „Archival Beach“ oder die Katalogisierung des eigenen Fundus hier eine dauerhafte Alternative bietet, ist fraglich.

Keinem der anwesenden Vertreter der Kulturpolitik schien erst noch vermittelt werden zu müssen, dass diese Arbeit ohne zusätzliche Gelder auch für die Künstler nicht zu machen ist. Und auch das Bewusstsein, dass man bereits dabei ist, etwas Unwiederbringliches zu verlieren, wird von allen geteilt. Denn die Ersten aus der Generation derer, die in den sechziger Jahren bewusst Theater abseits der Institutionen machten, eigene Ensembles gründeten oder noch höchstselbst mit dem Living Theatre tanzten, sind bereits gegangen. Elisabeth Bohde von der Flensburger Theaterwerkstatt Pilkentafel stellt nach drei Jahrzehnten freier Theaterarbeit fest, „dass immer wieder junge Leute Dinge entwickeln, die sie für neu halten, weil wir nicht in den Büchern stehen, die sie lesen“.

Wie sich aber in die Theatergeschichte einschreiben? Wenn die eine im Archiv nur einen „kleinen Fingerabdruck“ hinterlassen will, ein anderer seine ganzen „komischen Dinge“, muss die Autorenschaft beim Künstler liegen. Damit würde sich auch die individuelle Arbeitsweise im Archiv niederschlagen, die für die freie Szene besonders wichtig ist. Doch da kollidiert die Angst davor, einen unübersichtlichen Datenwust zu kreieren, mit dem Bemühen um Kanonisierung dessen, was gerade nicht im Fokus steht, weil es vielleicht abseits der Metropolen stattfindet. Die Frage nach den Persönlichkeitsrechten, lernt man, wurde schon beim „Digitalen Atlas Tanz“ unterschätzt. Vom Tanz indes, wo es mit dem Pina Bausch Archiv, der „Motion Bank“ der Forsythe Company und dem „Tanzfonds Erbe“ bereits viele Vorstöße in ein Gebiet gibt, das hier erst erschlossen werden soll, kann man positiv lernen. Aber man kann hier auch sehen, dass es meist nur die kulturellen Leuchtturmprojekte sind, in deren Konservierung Gelder fließen. Um genau das zu vermeiden, strebt das Projekt „Performing the Archive“ zwar ein zentrales Konzept, jedoch eine dezentrale Realisierung an und fordert alle dazu auf, sich in eine Kartografie der freien Theaterlandschaft einzutragen. Sofern es der Arbeitsgruppe gelingt, die Machbarkeit eines solchen Projektes sichtbar werden zu lassen, ergibt sich eine Mammutaufgabe für sehr viele Menschen, die Netzwerke bilden, Handreichungen erstellen und Interviews mit Zeitzeugen führen müssen, um ein lebendiges, offenes und interaktives Archiv des freien Theaters aufzubauen, das idealerweise selbst zum Kunstwerk wird. //

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