Auftritt
TD-Berlin: Die Konventionen der Oper zum WACKELN bringen
„Der Wald“ von Ethel Smyth – Inszenierung operationderkuenste
Assoziationen: Freie Szene Musiktheater Theaterkritiken Berlin Ethel Smyth operationderkünste TD Berlin

Wer geht heute eigentlich noch in die Oper? Kitschige Liebesgeschichten und das Beklatschen misogyner Texte. Eine Bühne für das Abbild starker Helden und schwacher, sanfter Frauen, die, sobald sie die Normen der Gesellschaft antasten, einen tragischen Tod sterben. Thank you – next?
Wie sehr haben wir uns tatsächlich von diesen Rollenbildern entfernt? Genau diese Frage stellt das junge Musiktheaterkollektiv operationderkuenste mit einer Neukontextualisierung des Standout im Opernkanon „Der Wald” (1902) von Ethel Smyth und bildet scheinbar nicht nur inhaltliche Brücken ins 21. Jahrhundert, sondern auch das Neudenken von Oper und Musiktheater in seinen eigenen Strukturen.
Hausarbeit findet abseits der großen Bühne im Hintergrund statt. Auch auf der TD Bühne leuchtet in knalligem neon-orangenem Licht, die heute wieder trendige Retro-Space-Age-Wohnung im Hintergrund, die zur Spielstätte der vergeschlechtlichten Care Arbeit wird: Es wird gestrickt, gelesen, aufgeräumt, am Laptop gesessen. Es laufen Videoprojektionen, die an Werbespots für Hausfrauen der 70er Jahre erinnern: Kühlschränke, Staubsauger, gedeckte Kaffeetische, Geschirrspüler, Waschmaschinen.
Das Bild wirkt so fern und überholt, ist aber doch so aktuell. Wir sehen: Hier (und heute) leistet die sanfte Frau ununterbrochen und verdeckt Reproduktionsarbeit, sie legt damit das Fundament allen kapitalistischen Wirtschaftens.
Ethel Smyth, Komponistin von „Der Wald“, setzt sich für damalige Verhältnisse gegen das männliche Narrativ der Opernwelt ein und macht Iolanthe zur Protagonistin (vermeintlicher) weiblicher Stärke. Iolanthe (Sophie M.J. Stratmann), als Herrin des Waldes, trägt auf der TD Bühne kniehohe Absatzstiefel mit halbdurchsichtig-gemustertem Kleid und glänzt mit eindrucksvoll-lauter Stimme. Sie begehrt Heinrich (Konrad Amrhein), einen jungen Holzfäller, der eigentlich Röschen (Alixe Durand Saint Guillan) datet und lässt diesen, weil er sie korbt, den Tod sterben. Als starke Hauptprotagonistin bricht sie so scheinbar gesellschaftliche Normen, bedient dabei aber gleichzeitig das Bild der rach- und eifersüchtigen Bösewichtin, die keinen Platz in einer gesellschaftlichen Normalität hat.
„Der Wald” offenbart sich mit diesem Erste-Welle-Feminismus aus heutiger Perspektive als klassisches hetero-romantisches Liebesdrama, das nur so von patriarchalen Plots trieft.
Die Handlungsebene der kitschigen Liebesbeziehung zwischen Heinrich und Röschen, wird der Neuinszenierung am TD immer dann unterbrochen, wenn das Klischee schon fast unerträglich ist – verliebte Blicke, traute Zweisamkeit, Röschen als sanfte Protagonistin im rosaroten Plüsch-Tutu, das geplante Hochzeitsfest. Zum Glück wird hier nicht einfach nur reproduziert und stehen gelassen, sondern um eine kritisch kommentierende Ebene erweitert. Das liberale Libretto wird unterbrochen, stattdessen finden aktuelle, feministische Sprechtexte ihr Gehör und kommentieren die misogyne Misere.
Anstelle des Tumults, der vorher geherrscht hat, bewegen sich die Schauspielenden dann in Zeitlupe auf der nebligen Bühne. Sie tanzen sanft zur Musik der Feier – wackeln still im Takt, zum Orchester, das auf die linke Seite des Bühnenraums gequetscht ist. Währenddessen wird ein Auszug aus „Süss“ von Ann-Kristin Tlusty vorgetragen. Der Text erzählt auch 100 Jahre nach ,,der Wald” vom selben Hetero-Kitsch: unter flimmernden Discokugeln tanzen sich 16-jährige Jungen und Mädchen an, wackeln nebeneinander rum, performen binäre, eindimensionale Genderrollen. Alle wacken mit, genau wie die Schauspielenden auf der Bühne, was es zu feiern gibt weiß keiner.
Mit dieser Inszenierung werden nicht nur Fragen der Geschlechterrollen aufgeworfen, sondern auch die Strukturen und Funktionen der Oper an sich – wenn auch etwas unfreiwillig. Aufgrund eines Krankheitsfalles wird Heinrich, der Heldentenor, am Premierenabend von Konrad Amrhein gespielt und vom Dirigenten Simon Scriba gesungen. Das Fazit des Kollektivs: „Auch jeder starke Mann ist ersetzbar.” Diese spontane Umbesetzung bricht dabei nicht nur mit der performten Männlichkeit von Heinrich, sondern auch mit der klassischen Rolle des Dirigenten. Dieser muss sich fortlaufend umdrehen, um die Texte des Heinrichs einzusingen – Ein unüblicher Eingriff in die Konventionen der Oper.
Laut Programmheft will operationderkuenste auch ihrer eigenen Lebensrealität einen Spiegel vorhalten: So reflektiert Konrad, in einem langen Monolog auf einer Waschmaschine sitzend, über die Verkörperung einer männlichen Rolle in der Oper, die mit toxischer Männlichkeit überfrachtet ist. Als Schauspieler:in könne man der normativen Rolle dann aber doch nicht entkommen, möchte man sich in der Opernwelt etablieren. Die Lebensrealität der Darsteller:innen spielt sich eben auch im hermetischen Opernbetrieb ab. Er offenbart auch 100 Jahre nach Ethel Smyth hierarchisch-gegliederte Funktionen und Rollenzuschreibungen.
An einem Abend können sich die Zwänge des Heteropatriarchats nicht in Luft auflösen. Aber man kann sie zum Wackeln bringen. Mit „Der Wald” zeigt uns operationderkuenste, dass der männlich-geprägte Kanon der Oper trotz allem veränderbar ist. Die Inszenierung wirft Licht aufs Dickicht der gesellschaftlichen Normen und zeigt uns die Parallelen zwischen den Narrativen der „Wald“-Figuren und unserer eigenen Lebensrealität auf. Dabei treffen Momente des totalen Klischees mit intensiver Reflexion über unser Zusammenleben aufeinander.
Erschienen am 29.3.2023