Theater der Zeit

Auftritt

Ingolstadt: Aktualisierung mit dem Holzhammer

Stadttheater Ingolstadt: „Wege des Helden. Siegfried“ von Donald Berkenhoff (UA). Regie Donald Berkenhoff, Bühne Fabian Lüdicke, Kostüme Andrea Fisser

von Sabine Leucht

Erschienen in: Theater der Zeit: Abgründe des Alltäglichen – Das Staatstheater Braunschweig (06/2019)

Assoziationen: Stadttheater Ingolstadt

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Die Premiere sollte ursprünglich 14 Tage früher sein. Doch die elektronische Steuerung des dreißig Tonnen schweren Hubpodiums streikte. Und die hat viel zu tun in Donald Berkenhoffs Inszenierung, mit der er sein eigenes Stück „Wege des Helden. Siegfried“ auf eine reinweiße Bühne gebracht hat. Was klingt wie der Auftakt einer Serie, spielt sich am Stadttheater Ingolstadt auf einem breiten überdachten „Weg“ ab, der sich zu Stufen und Wänden aufbäumen und wieder absenken kann – und als Projektionsfläche für ­Stefano di Buduos spektakuläre Videos dient. Die lassen den Rheinfall, das wilde Eismeer, Nebelschwaden, Feuersbrünste oder Tapetenmuster über das Weiß ziehen, je nachdem, wo den Recken Siegfried sein Schicksal hinweht.

Zu Beginn fällt Schnee auf Fabian Lüdickes Bühne. Jakob Dinkelacker hat gerade den Platz an seinem prominent platzierten Schlagzeug eingenommen, der schwedische Komponist und Klangkünstler Anders Ehlin den seinen am Klavier. Musikalisch stehen die Zeichen auf Jazz, Chaos und Aufruhr. Dazu singt eine Frau in Weiß (Renate Knollmann) kehlig, fremd und wunderschön. Ein lichtes, pathetisches und zugleich schauer­atmosphärisch aufgeladenes erstes Bild, das die Erwartungen an einen Abend hochschraubt, der den Helden der Nibelungen­sage mit den nordischen Göttinnen Freya und Hel kurzschließt, auch die Raben Hugin und Munin als galgenvogelhafte Marionetten über die Szene huschen lässt – aber zuallererst ein Opfer von Siegfried fordert. Es ist ein Kind in ihm, das hier als kleinere Siegfried-Kopie dem Erwachsenen vertrauensvoll die Hand gibt, der es ohne ein Wimpernzucken auf der „Straße der Killer“ zurücklässt. Dieses innere Kind hat sich den Hunger auf Abenteuer aus dicken Büchern geholt. Als es tot ist, bleibt ein eitler Karrierist zurück, der sich vom verträumten Sohn eines Köhlers zum König von Xanten hochlügt und dann zwischen Walhalla und Worms, Brunhild und Kriemhild im Wesentlichen das erlebt, was in den Büchern vorgezeichnet ist.

Der langjährige Chefdramaturg des Theaters Ingolstadt vermengt in seinem Debüt als Dramatiker Edda und Nibelungensage mit flapsiger Gegenwartssprache. Als Regisseur verwandelt er diesen Mix zu einem Zwitter aus großer Oper und greller Familien-Soap, der mit kabarettistischen und Puppenspiel-Szenen aufwartet und seines eigenen Ideenreichtums kaum Herr wird. Enrico Spohns Siegfried teilt sich die Seele mit dem Drachen. Der spricht ihm fortan mit elektronisch verzerrter Stimme ins Gewissen, was den Drachentöter wie auf Knopfdruck zucken und sich winden lässt. Und weil die Burgunden in Worms aus ökonomischen und Zeitgeist-Gründen jüngst zum Christentum konvertiert sind, tragen die Frauen eine Art Christen-Burka, auch wenn sie aufgrund der grenzen­losen Tumbheit von Gunter und dessen Mannen praktisch allein den Laden schmeißen.

Berkenhoffs Geschlechterrollen- und Religionskritik zielt auf die großen #MeToo- und Anti-Islam-Debatten unserer Zeit, wenn auch eher halbherzig. Denn nur weil man Brunhilds Vergewaltigung durch den Tarnkappenträger Siegfried beim Namen nennt und den Männern ein paar Samenraub- und Kas­trationsängste unterschiebt, ergibt das noch kein feministisches Stück. Dafür bleiben die Burgunderinnen zu trutschig, werden zu viele Stereotypen zwar um ein paar Ecken herum, aber dann doch wieder bedient. Und Brunhild, die die strahlende Andrea Frohn als wunderbar bodenständig-zupackende Natur spielt, ist schließlich auch im Original schon eine, die ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt. Weshalb man auch zweimal blinzeln muss, wenn sie sich am Ende zu ihrem Vergewaltiger in den Sarg legt.

Dramaturgisch rumpelt es ohnehin öfter an diesem bildgewaltigen Abend, bei dem nicht nur die aus gutem Grund karikierten Charaktere, sondern auch viele Pointen eher mit dem Holzhammer modelliert sind als mit der Feile. Viel zu denken und zu assoziieren, viel Unbequemes bleibt am Ende nicht. Und um mit vordergründigen Aktualisierungen einen klaren Kontrapunkt zum nationalistischen Missbrauch des Stoffes zu setzen, hätte es kein neues Stück gebraucht. //

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