Theater der Zeit

Auftritt

Theater Tiefrot Köln/Theater Paderborn: Das Leben und die Gewalt

„Rose“ von Martin Sherman, Regie Roland Hüve, Produktion und Dramaturgie Andrea Faschina

von Stefan Keim

Assoziationen: Theaterkritiken Nordrhein-Westfalen Roland Hüve Theater Tiefrot Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele

Lena Sabine Berg als Rose in der gleichnamigen Koproduktion zwischen dem Theater Paderborn und dem Theater Tiefrot Köln.
Lena Sabine Berg als Rose in der gleichnamigen Koproduktion zwischen dem Theater Paderborn und dem Theater Tiefrot Köln.Foto: Michael Platt Theater Paderborn

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So kann Theater auch funktionieren: Die Dramaturgin Andrea Faschina entdeckt ein Stück, das jetzt auf die Bühne muss. „Rose“ von Martin Sherman, der Monolog einer 80-jährigen Jüdin, die ihr Leben erzählt. Von der Kindheit im Schtetl kommt sie zu den israelischen Siedlern im besetzten Gebiet. Andrea Faschina überzeugt die Schauspielerin Lena Sabine Berg und den Regisseur Roland Hüve, das Stück aufzuführen. Das Theater Tiefrot in Köln fand sich als Koproduzent. Eine Bank, ein Glas, etwas Wasser, ein paar Döschen für Medikamente. Mehr Bühne braucht es nicht. Nun habe ich es am 7. Oktober, dem Jahrestag des Terroranschlags der Hamas auf Israel, im Theater Paderborn gesehen.

Die 80.jährige Rose hält Totenwache, sie sitzt Shiv’a. Es ist nicht klar, für wen. Dabei reflektiert sie ihr Leben und hat eine Menge zu erzählen. Aus dem jiddischen Schtetl kommt sie ins Warschauer Ghetto. Sie ist die Einzige aus ihrer Familie, die den Holocaust überlebt. Auf dem Schiff „Exodus“ kommt sie nach Palästina, aber ihre Hoffnungen werden enttäuscht. Sie findet einen neuen Ehemann, mit dem sie in die USA emigriert. Und dort beginnt eine völlig andere Geschichte. Ihr Mann wird zwar schwer krank, aber sie etabliert sich im Hotelgewerbe, wird reich – und macht sogar die wilden 60er mit, als „Cool Mom“ in einer Hippiekommune.

Es ist also keineswegs nur eine bedrückende Geschichte, die Martin Sherman hier erzählt. Die Schauspielerin Lena Sabine Berg wechselt grandios zwischen leichten und nachdenklichen Tönen, ihr Körper scheint durch die verschiedenen Lebensalter zu fließen. Es sind oft nur kleine Veränderungen, die eine ganz andere Stimmung hervorrufen. Eine straffere Haltung, die Jugend ausdrückt, ein leichtes Zusammensinken, die wieder in die Erzählperspektive der alten Frau führt.  Roland Hüve hat diesen Monolog mit viel Feingefühl inszeniert. Es ist schon ein Kunststück, so viel Inhalt in anderthalb Stunden zu bringen, ohne dass die Aufführung jemals anstrengend wirkt. Im Gegenteil, das Publikum im ausverkauften Studio des Theaters Paderborn dockt sofort an und bleibt dabei.

Die Herzstockmomente kommen, wenn es um den heutigen Konflikt geht. „Rose“ spielt zwar 1999, dem Jahr seiner Uraufführung. Doch die Konflikte sind geblieben. Roses Sohn Abbie wandert nach Israel aus, seine Frau – eine konvertierte Christin – wird immer radikaler. Rose besucht sie, will ihre Enkel sehen. Und sie spürt die Blicke der Araber, die ihr sagen, dass sie nicht hierhin gehört. Schließlich erschießt Abbie ein palästinensisches Mädchen. Für das Kind sitzt Rose nun Shiv’a.

Die Aufführung erzählt davon, dass es immer noch Menschlichkeit und Sehnsucht nach Frieden gibt. Wie sich Menschen in Angst und Aggression verrennen. Auf der Satireseite „Der Postillon“ habe ich gerade gelesen, dass ein Ende des Nahostkonflikts in Sicht ist. Weil die Sonne in fünf Milliarden Jahren die Erde verschlingen wird. Ähnlich aussichtslos erscheint die Lage auch im Stück, und dennoch vermittelt es Hoffnung. Weil es Menschen wie Rose gibt, die über sich selbst hinausdenken können. Ohne es aktualisierend auszusprechen denke ich daran, dass Netanjahu nicht Israel ist, dass es viele Menschen wie Rose gibt, die für das Maßhalten demonstrieren.

Das Gespräch nach der Vorstellung in Paderborn ist nicht weniger beeindruckend. Menschen sitzen im Foyer und denken zusammen nach. Da muss niemandem das Wort erteilt werden, alle hören einander zu. An diesem Abend ist das Theater wirklich, was es sein will und oft nur vorgibt zu sein, ein Forum der Demokratie, ein Ort der Begegnung.

Erschienen am 11.10.2024

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