Theater der Zeit

SCORES – Insert Tanzquartier Wien

bodies in tubes und die squatting projects

von Saskia Hölbling

Erschienen in: Theater der Zeit: Je suis Charlie (02/2015)

Assoziationen: Österreich Tanz

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BODIES IN TUBES

Zwei Körper durchforsten eine Installation aus Schuttrutschen, verkeilen sich in Nischen eines vertikalen Röhrensystems und quellen aus Zwischenräumen, werden absorbiert oder ausgeworfen.

Beklemmung und Schutz reichen sich die Hand, Lebendiges und Künstliches bilden einen neuen Organismus. Hier kann Plastik atmen, der menschliche Körper wird zum Segment eines Überkörpers. Er wird zum Teil eines Territoriums, das niemandem gehört, doch Auswirkungen und Echos sichtbar macht.

»Wieder ein Gestell, aus dem der Körper nicht herausfindet. Doch hier wird das Klaustrophobische unserer Existenz am radikalsten sichtbar gemacht: als Körper, die nur noch Abraum der sie beherrschenden Systeme sind.«

Der Standard, Helmut Ploebst

Und tatsächlich finden die Körper nicht aus den selbstgemachten und selbsterdachten Gestellen, Strukturen und Mechanismen heraus. Vielleicht können sie es momentan noch nicht, können noch nicht über sich hinauswachsen.

Dafür glitzert unsere Erfolgswelt ja so schön!

 

BODIES (WITH)IN FENCES

Mitten in einem Monument aus Baugittern ackern sich drei Körper durch vielschichtige Barrieren, machen sich daran, ihr rigides Umfeld unaufhörlich und immer wieder zu sezieren und halten dadurch das System in Atem.

Delikat und geräuschvoll zugleich wird durch einen unauswegsamen Regelkreis ein Perpetuum mobile entworfen, das notgedrungen in eine Sackgasse führt, ohne dabei mit den schrillen Verführungsstrategien des urbanen Raums in ihrer Grobheit konkurrieren zu wollen.

Ein Regelkreis, den keiner will, aber für den alle arbeiten.

Eine Art Überlebenstraining in einem baustellenartig abgewrackten Umfeld, das konstant Neuerung und Verbesserung verspricht, dabei jedoch chronisch baufällig bleibt und nie hält, was es verspricht. Dabei wird klammheimlich eine Barriere nach der anderen errichtet, eine Grenze nach der anderen gezogen – Leitsysteme.

Nur die, die in Besitz von Geldblasen sind, meinen darüber hinaus schweben zu können.

Dafür glitzert unsere Erfolgswelt ja so schön!

 

BODY IN A METAL STRUCTURE

In einem unauffällig unnützen Baugerüst, gleichzeitig mobile Skulptur und Performancestätte, macht sich ein Körper daran, die Beziehungen zu seinem urbanen Umfeld zu dekonstruieren, wobei er ganz diskret Akte des zivilen Ungehorsams setzt.

Diese Skulptur, die immer ein wenig fehl am Platz wirkt, reiht sich in den Wildwuchs von Baustellen, die angesichts ihrer Omnipräsenz bereits unserem Wahrnehmungsfeld entschwinden.

 

Von Stück zu Stück entwickelten die Squatting projects eine immer subversivere Radikalität der Dispositive – also jener Materialien, mit denen und in denen sich die Körper bewegen und begegnen sollten.

Die entsprechenden Körperbilder und -situationen wurden zunehmend beklemmender und unheimlicher, und man muss genau hinsehen, denn sie sind nie schillernd und laut. Vielmehr sind sie notwendige Metaphern für das Wesen unserer Zeit.

Die 70er und 80er Jahre waren geprägt von starken Anti-Establishment Bewegungen, die laut gegen den Markt protestierten und die Bürgerrechte selbst in die Hand nahmen.

Protest wird zum Schweigen diskutiert. Es bestimmt die erschlagende Masse, gut manipuliert – perfiderweise bei gleichzeitiger Vereinzelung des ›nur für sich selbstverantwortlichen‹ Individuums. Die perfekte Abwälzung jeglicher Verantwortung.

Subversive Artikulation in der Kunst manifestiert sich heute kaum laut und sie schillert auch nicht sexy in der Welt herum. Sie wird von jenen gehört, deren Ohren vom Gedröhne noch nicht taub sind.

Heute leben wir in einer Zeit, in der sich die »Squats« durch leere Gebäude in den Herzen von Städten manifestieren. Spekulationsobjekte oder Abschreibposten der Reichen.

In diesem Sinn und weil die Welt spürbar prekärer einerseits und glorreicher andererseits zurück wirkt, ist unser nächstes Thema mehr eine »assemblage humain«, weder in schwindelnden Höhnen noch in lebensfeindlichen Dispositiven, sondern am Boden und mit unüblichen Partnern.

Sie gehören Leuten, die geschäftig auf dem Globus herumhüpfen und sich hier und da bei fünf Sternen treffen (oder gibt es schon sechs, sieben, oder acht für die Superreichen?!).

 

bodies in tubes, bodies (with)in fences und body in a metal structure sind Teile der Squatting Projects-Serie von Saskia Hölbling / DANS.KIAS und Laurent Goldring. Im Juni 2015 werden alle drei Teile erstmalig gemeinsam zu sehen sein in der Expedithalle / Ankerbrotfabrik in Wien.

Saskia Hölbling ist Choreografin und Tänzerin. Parallel zu ihrer Tanzausbildung in Wien und Brüssel gründete sie 1995 ihre eigene Kompanie DANS.KIAS. Sie arbeitete mit Robert Wilson, Willi Dorner, Laurent Pichaud, Benôit Lachambre, Fabrice Ramalingom und Anne Callod. 2001 begegnete sie dem französischen Videokünstler Laurent Goldring, mit dem sie in kontinuierlichem Kontakt und Austausch das Squatting Projects entwickelte.

bodies in tubes von Saskia Hölbling, DANS.KIAS und Laurent Goldring wurde am 10. Oktober 2014 am Tanzquartier Wien uraufgeführt.

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