Stück
Die nötige Folter
Spiel für sechs Unschuldige und ein Bild
von Dietmar Dath
Erschienen in: Theater der Zeit: Abgründe des Alltäglichen – Das Staatstheater Braunschweig (06/2019)
Assoziationen: Dramatik Staatstheater Augsburg
Don’t underestimate
the things that I would do
Adele 2010
Rollen
Menschen
SVEN Mitte 30, Künstler
BAQIL Ende 30, Künstler
EVA Anfang 40, Kuratorin
HARK Anfang 30, Forscher
Andere
BILD Anfang 30, weiblich, zu klug
STIER
WIDDER
Das BILD ist dem Augenschein nach menschlich; STIER und WIDDER sind menschenähnlich, sie dürfen für Verkleidungen gehalten werden.
1.
(In der Mitte der Anlage steht ein Laufband mit einem Laserscanner am Ende, dahinter ein beweglicher Stuhl und eine digitale Kasse, wie im Lebensmitteldiscounter. Etwas rechts davon ein Bock mit Fesseln. Andere Geräte hier und da; ein OP-Tisch, Kamera, Schirme. Die Menschen sitzen fixiert in ihren vier Möbeln. Sie schlafen. Das Bild ist mehrfach vorhanden, teils schläft es auch. Stier und Widder arbeiten am Ablauf.)
STIER: Ich weiß, du ekelst dich. Hast fast gekotzt, als wir dem mit dem Bunsenbrenner die Fußsohlen verbrannt haben. Wie er geschrien hat. Große Effekte. Hier geht’s aber um kleine Wellen. Nicht um Waves, sondern um Wavelets. Nicht um Rahmen, sondern um Rähmchen, Framelets statt Frames. Ich weiß, du darfst nicht sprechen. Als der hier durch den Trichter das Rizinusöl hat trinken müssen, habe ich gehört, wie du die Luft durch den Hals gepresst hast, dieses Geräusch … Als er alles vollgeschissen hat und drin sitzen musste, drei Tage lang, und als er sich so geschämt hat dabei, dass er heulen musste, da ist dir das nahegegangen, das war zu merken. Halt das, bitte. So. Gib mir das andere. Nein, hier. Da muss es rein. Jetzt du. Eins höher. Ja. Ich will auch gern raus, wie du. Ich weiß, dass es nur zwei Auswege gibt: Das schnelle Gift und das langsame Gift. Herz oder Hirn. Ich werde eins davon nehmen müssen. Hier, du musst … Nein, lass. Die Uhr sagt, wir müssen zurück in die Beobachtung. Die Frau wacht gleich auf. Jetzt komm.
2.
BILD: Gibt es einen Moment, in dem ein galoppierendes Pferd mit keinem einzigen Bein auf dem Boden steht? Auf alter Malerei kann man das sehen. Wie haben die Maler das mitgekriegt, es gab doch keine Fotos? Ich bin mal einem Professor aus Illinois begegnet, Eriksen hieß der, den hat das beschäftigt. Der war auf einer Ausstellung von mir, der zweiten in New York. Wir kamen ins Plaudern, weil ich da diese Videos gezeigt habe, die falschen Schnitte der Sequenzen von Computerspielen. Da sagt der Professor: Der menschliche Gesichtssinn integriert das. Wie viele Aufnahmen pro Sekunde macht das System? Es gibt Experimente. Kürzeste Stimuli, hundert Millisekunden und dergleichen. Aber das Interessantere ist: Wie sieht es mit dem Erleben sonst aus? Sind Gefühlswahrnehmungen, Wünsche, Ängste auch in Päckchen unterteilt? Da haben wir dann dieses Programm ausgeknobelt, der Hark, mein Neurowissenschaftler, und ich. Ein fieses kleines Ding, das immer schneller immer schlimmer wird, eine Kaskade. Superwerkzeug, um eine Funktion mit Richtungen und Längen und Größen für Veränderungen in einem Sobolewraum zu verfolgen. Das brauchst du zum Beispiel für Statistik, also für das Verhalten von großen Menschengruppen. Und für Minimalwerte, kürzester Weg, kleinster Energieaufwand. Ich habe dann nach den Berechnungen der Kaskade programmierte Musik in Clubs spielen lassen. Ich habe Bilder generieren lassen, mit gestörten Werten, und sie mit Schablonen auf Brücken und Hauswände sprayen lassen. Störung der Rahmen und Rähmchen überall. Störung der Wellen und Wellchen überall. Wellen der Anti-Wellness. Ich habe Werbeleute bestochen. Ich habe Theaterstücke und Performances schreiben und aufführen lassen. In Hongkong, in Kiew, in Augsburg. Die Kunstleute, Musikleute, Theaterleute haben gern mitgemacht. Ich habe die Welt zerstört, und die Erinnerung daran gelöscht, wie sie war. Jetzt denken alle, das, was ist, sei schon immer so gewesen. Zerstörung als Zuhause. Die Leute werden von meinem Scheiß gefressen und lassen es zu. Lustig.
3.
HARK: Sind Sie wach? Hallo?
EVA: Hnnff… sehr gu… seine, er hat … eine sehr gute Arbeit …
HARK: Hier. Hier drüben. Langsam. Atmen Sie durch. Legen Sie den Kopf nach hinten.
EVA: Wie … soll …
HARK: Nein, hören Sie mir zu, bitte. Ich kann Ihnen helfen. Augen zu. Die müssen sich beruhigen. Sie suchen was. Sie rollen in ihren Höhlen, die ersten drei Minuten lang. Deshalb dreht sich das alles. Wenn sie die Augen zumachen, so, dann beruhigt sich das. Kopf in den Nacken. Nicht die Arme bewegen.
EVA: Wieso? Ich …
HARK: Gleich. Atmen. So. Konzentrieren Sie … versuchen Sie, die verschiedenen Teile ihres Körpers zu spüren, von unten nach oben. Spüren Sie Ihre Füße? Sie können sie auch ein bisschen bewegen. Die Zehen.
EVA: Ja. Ich spüre die … Füße.
HARK: Sehr gut. Langsam hoch: Unterschenkel, Oberschenkel. Den Hintern, der auf dem Stuhl sitzt. Rücken, Bauch. Spüren Sie das? Den Hals? Innen, können Sie schlucken? Jetzt im Mund. Zunge. Zähne. So. Jetzt bewegen Sie mal … machen Sie mal eine Grimasse, dass die Kopfhaut sich verschiebt, dass Sie das spüren, die Haare. So. Ist Ihnen noch schlecht?
EVA: Nein.
HARK: Schwindlig?
EVA: Nein. Ist viel besser jetzt.
HARK: Sie können die Augen öffnen. Hier. Ich bin hier drüben.
EVA: Ah. Ja, sehr gute … sehr gute … Arbeit …
HARK: Das haben Sie vorhin beim Aufwachen schon gesagt, was meinen Sie damit?
EVA: Was?
HARK: Sehr gute Arbeit.
EVA: Ich weiß nicht, hab ich das gesagt? Was ist das hier? Wer hat uns gefesselt?
HARK: Langsam. Zu viele Fragen auf einmal.
EVA: Ich bin, muss mich … Nein, anders. Von vorne. Ich bin Eva Mar…
HARK: Nicht! Sagen Sie das nicht.
EVA: Was?
HARK: Ihren vollen Namen. Nachnamen. Ich weiß, wer Sie sind. Eva. Leiterin der Galerie, richtig?
EVA: Sie …
HARK: Ich heiße Hark.
EVA: Ich kenne diese beiden … Männer da. Das ist … Sven …
HARK: Keine Nachnamen!
EVA: Sven und … Baqil. Beides Künstler, die wir vertreten, mein Partner und ich, nein, Sven vertreten wir ja nicht mehr. Der hat sich so … aber Sie, Sie kenne ich doch auch. Hark Reini…
HARK: Nicht!
EVA: Hark. Entschuldigen Sie. Hark. Wieso sollen wir Nachnamen nicht …
HARK: Man hört uns zu. Die beiden, die uns hier festhalten. Stier und Widder. Der Stier redet, der Widder nicht. Ich glaube, der Widder ist eine Frau. Die beobachten uns und belauschen uns. Sie gehen oft weg, lassen uns allein. Es gibt Kameras hier, da und da und dort drüben, sehen Sie? Und Mikrofone wohl auch überall. Außerdem haben wir alle hinterm Ohr, im Schädel, diese schwarzen …
EVA: Was?
HARK: Es gehört zum Ganzen hier. Das nennt der Stier den Ablauf. Da muss ein anderer Raum sein, ich glaube, über oder unter diesem hier. Der Stier nennt diesen andern Raum die Beobachtung. Er redet auch von abstrakten Räumen, mathematischen, wie von wirklichen – er erwähnt Banachräume und Sobolewräume. Es ist ein Experiment, denke ich. Es geht um Ereignisverteilungen, um das, was Leute tun und erleiden. Eine Kaskade von Taten und Folgen, Ursachen und Wirkungen, Voraussetzungen und Schlüssen. Er redet von Funktionen, also Veränderungen, von Wavelets und Framelets. Und vom Filmprinzip der Frame Rates, deshalb denke ich …
EVA: Ich verstehe diese Wörter nicht. Sie haben meine Frage ignoriert: Wieso nur die Vornamen?
HARK: Baqil und Sven und ich, der Stier duzt uns. Und wenn er uns allein lässt, wenn er und der Widder nicht hier sind, dann sind wir mal gleichzeitig wach, mal nur zwei von uns, dann können wir reden, aber er hat uns gesagt: nur Vornamen.
EVA: Sie sind … Hark, sagen Sie. Ich habe Sie mit Dorothee Coppe gesehen. Mit Doro. Darf ich da auch den Nachnamen nicht …?
HARK: Doch. Den sagt er selbst manchmal. Er zeigt uns Videos von ihr.
EVA: Ja, sie sind doch der Wissenschaftler, der ihr geholfen hat bei diesen schlimmen Sachen. Das, was die Leute verrückt macht. Der Neurodingsbums. Sie hat mal gesagt, erst seit sie mit Ihnen arbeitet, ist ihr Zeug wirklich Kunst.
HARK: Na, so war sie, stimmt’s? Überschwenglich, Dank und Streit, Liebe und Abneigung und … Hass. Ich verdanke ihr viel. Als sie diese Ausstellung in Köln gemacht hat, samt Aktion und Skandal, als diese Leute einander verprügelt haben …
EVA: Der Saal mit den Blitzen? Wo diese schrecklichen Filme gleichzeitig …
HARK: Ja, ich habe …
EVA: Da konnte ich nicht drinbleiben. Das habe ich nicht ausgehalten. Und dann die Polizei und der Prozess und alles, die Kunstfreiheit …
HARK: Ich weiß. Hart. Beim Interview im WDR hat sie auf mich hingewiesen, und da haben die Leute vom MPI … diese bescheuerte Max-Planck-Bande, die waren ja kurz davor, mir den Geldhahn abzudrehen. Der Vertrag lief aus. Aber nach dem WDR-Ding hat mich der feine Herr Professor Goltz dann zu sich rufen lassen: Stimmt das, dass Sie diese Frau da beraten haben, technisch, mit den Hirnfunktionen, mit den Erlebnisraten, mit dem Rhythmus der Wahrnehmung? Da war er hellhörig geworden … ich habe gesagt: Es ist eben keine Spinnerei. Und er so: Aha, dann können wir das ja weiterverfolgen, aber unter einer Bedingung. Ich: Welche? Er: Die Frau muss aufhören, darüber zu reden, wo sie das her hat, wir wollen nicht ins Gerede kommen als Institution, die für Schlägereien verantwortlich ist da in diesem Museum Ludwig, bitte. Das habe ich Doro gesagt, und sie hat sofort aufgehört, mich … Die nächsten drei Jahre konnte ich weitermachen, der Goltz wollte wohl nur, dass das Institut am Ende den Ruhm einfährt, Veröffentlichung, er wusste, ich wäre sonst in die freie Wirtschaft damit oder zur Bundeswehr oder … Bald hatte ich es raus, drei Jahre dauerte das nur. Doro hat sich stillschweigend bedient, absprachegemäß. Dann die Kettenreaktion, Lawine … der Kaskadenalgorithmus in Aktion.
EVA: Die Frage war für mich, ist das noch Kunst, wenn Leute sich und andere verletzen? Aber das sind ja Kleinigkeiten, gemessen an der Scheiße draußen.
HARK: Was haben Sie denn … draußen … erlebt? Was ist das Letzte, was Sie noch wissen, was Sie getan haben, bevor Sie meine Stimme gehört haben, gerade eben?
EVA: Schwierig. Ich habe nur verschwommene … Ich war in der … ich war nochmal in der Galerie, aber ich bin erst noch, ich bin zur Bank, und …
HARK: Scheiße.
EVA: Was? Hören Sie mal, also …
HARK: Nein, nicht wegen Ihnen, aber schauen Sie, sehen Sie das? Baqil. Der bewegt sich. Wacht auf. Das heißt, ich hab es falsch gemacht. Ich habe Sie falsch geweckt und befragt und … Scheiße, Scheißescheiße …
EVA: Was? Ich verstehe nicht, was denn?
HARK: Es ist eine Prüfung. Sie müssen sich das merken, es ist eine Prüfung. Die wollen wissen, ob Menschen was lernen können, besseres Verhalten, und wenn …
EVA: Was?
HARK: Sehen Sie das am Ohr, hinter seinem Ohr? Und hinter meinem? Sie spüren das nicht, aber Sie haben das auch. Das geht direkt ins Hirn, ins akustische Zentrum, damit wir keine Kopfhörer … weil, Kopfhörer kann man rausreißen, oder jemand kann mithören, der ein feines Gehör hat … der Stier sagt uns manchmal, was wir tun sollen, mir hat er gesagt, ich soll … aber wenn Baqil jetzt aufwacht, dann werde ich abgeschaltet … passen Sie auf, was Sie sagen, und sagen Sie nichts laut, wenn der Stier … hören Sie?
EVA: Um Gotteswillen …
HARK: Baqil ist okay, aber nehmen Sie sich in Acht vor Sven, das ist der Schlimmste, der ist ge… der kann … kann …
EVA: Herr … Hark, was ist, was haben Sie? Hark? Hallo?
HARK: Und eb… ebenemmenn das isssesas jetzt … bei Ihnsens auch … die induzier… indinzinz… die Angst, und je mehr Sie sich … hhh… hhh…
EVA: Hark? Ich verstehe das alles nicht! Hallo? Hark? Baqil? Sven?
(Dunkel)
4.
BILD: Im normalen Film ist es, wie bei Mulvey so schön steht, eine Rate von „vierundzwanzigmal Tod pro Sekunde“. Und beim Videospiel haben sich die Hirn-Auge-Systeme an eine Rate von dreißig Bildern pro Sekunde gewöhnt, was einen ziemlichen Rechenaufwand bedeutet. Daher der Frust bei meinen zwei Programmiererinnen, dass sie einige ihrer schönsten Ideen fürs Rendering nicht umsetzen konnten, weil die Frame Rate davon gedrückt wird, weil das Spiel dann nicht mehr schnell genug auf die Entscheidungen der Leute reagiert, die es spielen. Die hätten am Liebsten hingeschmissen, schon vor der Schau in Köln. Aber ich wollte, dass es nicht abgehackt aussieht. Dann ging das Aussuchen los. Welche Sorten von Funktionen im Hirn und in der sozialen Kommunikation eignen sich als initiale Wahlfunktionen für einen iterativen Kaskadenalgorithmus? Von welcher Klippe springt das Pferd ins Meer aus Blut?
EVA: Hallo? Wer ist, hallo? Hört mich wer?
BILD: Und als Hark mir sein Lemmagezeigt hat, da dachte ich, jetzt verstehe ich, warum das nicht hinhaut, was da passiert ist, mit den Leuten und ihrem Erlebnistempo und ihrer Kommunikation. Nur ein Lemma, also ein Hilfssatz, nicht mal ein richtiger Lehrsatz, nur ein Nebenergebnis, und das Nebenergebnis sagt: Bei der Geschwindigkeit, mit der wir heute Signale verarbeiten müssen, kommt unser Affenhirn zwar noch mit, aber es fängt an zu vernachlässigen, wie wir unsere vielen Affenhirne noch aufeinader abstimmen. Das gilt im Intimsten, in den Liebesgeschichten, genau wie im Parlament oder im Krieg. Kann ja gar nicht so klappen.
EVA: Hallo?
BILD: Die Menschheit ist verpasst. Wir sind dran vorbeigerutscht. Die ungleichzeitige Entwicklung hat uns gefickt.
EVA: Hallo?
BAQIL: Mwhoo… rrgharrghh… Wa… Hallo, was, hallo?
EVA: Baqil? Bist du das?
BAQIL Mo… Moment noch mal, ich … Eva?
EVA: Baqil? Gott sei Dank. Baqil?
BILD: Da dachte ich, wenn das so ist, mit den Erlebnisraten, wenn das Pferd nie alle Beine gleichzeitig in der Luft hat, dann kann man es nur noch von seinem Leiden erlösen. Dann muss man es abknallen.
EVA: Baqil? Was sagt sie? Was ist das hier alles?
BAQIL: Moment jetzt doch mal. Fuck. Menschenskind. Ich muss nur gerade … es gibt gleich Licht, okay? Sie haben mich aufgeweckt, da machen sie dann gleich Licht. Sei still und lass das Video einfach laufen.
EVA: Was, Video?
BAQIL: Doro halt. Still bitte, ich muss … mir ist schwindlig noch…
BILD: Ich habe mir sofort eine Liste gemacht, auf Papier, ganz altmodisch, wen ich da kenne und wer helfen kann, Kulturszene, dann Youtube, Facebook, Twitter … Größenwahn, okay? Drei Tage fast nichts zu Essen, alte Pizza und Knäckebrot, Cola Zero, kaum Schlaf, nicht aus dem Studio raus. So ein Zustand weckt ja die absurdesten Launen … irgendwann musste es dringend süßes Zeug sein, so ein Wiener Mandelhörnchen oder Pralinen. Also raus, und auf der Hauptwache … gegen neun Uhr morgens, an einem Samstag, völlig unwirklich, wie wenn man einen siebenstündigen Film im Kino gesehen hat oder eine Nacht beim Gaming weggediddelt, was ist denn das, Sonne, frische Luft? Kaum Menschen allerdings. Dann dieses Gefühl: Ich bin die geheime Königin der Apokalypse, ich werde diese Welt zerstören. Da kam plötzlich um die Ecke bei den E-Kinos eine Mutter mit einem Kind, einem Jungen, an der Hand, der war vielleicht sieben, höchstens acht. Das Kind hatte einen Roller dabei, hat den am Lenker mitgezogen, lustlos, und die Mutter sagt: „Nein, Skateboard, das ist noch viiiel schwieriger als Rollerfahren. Du musst erst mal richtig Rollerfahren, dann kannst du vielleicht, vielleeeeicht auch mal ein Skateboard haben.“ Das war wie ein Zeichen von oben: Doro, nicht gleich die Menschheit ausrotten, nicht gleich Skateboard. Fang mal kleiner an. Erstmal muss ich mich selbst umbringen, dann sehen wir weiter.
(Licht)
5.
EVA: Baqil?
BAQIL: Ja doch. Hier. Hinter dir. Warte, ich komm rum.
EVA: Machst du mich auch los hier? Baqil? Hör mal, der Mann, der Wissenschaftler, der Hark …
BAQIL: Keine Nachnamen!
EVA: Was? Ja. Hat er auch … Hör mal, du bist frei, kannst du …
BAQIL: Ich bin nicht frei. Niemand ist frei.
EVA: Was? Ich … du, der hat, er ist plötzlich, er ist bewusstlos, siehst du das?
BAQIL: Dann hat er es verkackt.
EVA: Was?
BAQIL: Seinen Job. Seine Arbeit, wie du immer sagst.
EVA: Was sag ich immer?
BAQIL: Eine sehr gute Arbeit. Sagst du immer. Wenn ihr beide wach wart, dann warst du sein Job. So wie du jetzt meiner bist. Wenn der Stier spricht, in deinem oder meinem Kopf, oder im Kopf von Sven oder Hark, sollen wir zuhören.
EVA: Was redest du denn, was soll …
(Schock)
BAQIL: Eva? Ah. Er spricht. Mach … mach die Augen zu am besten. Ich höre ihn nicht. Aber wenn du die Augen und den Mund zumachst, hörst du klarer. Ich halte deine Hand, spürst du das? Drück, wenn du … gut. Hör ihm jetzt zu. Gut.
(Erlebnis)
BAQIL: Eva? Bist du … blinzel mal. So. Ja.
EVA: Was … was … was hat … was…
BAQIL: Ruhig. Beruhig dich.
EVA: Beruhig, beruhigen ist gut … soll ich … Hark hat gesagt … atmen … Was war das?
BAQIL: Hast du was gehört? Eine männliche Stimme?
EVA: Ich hab gedacht, ich sterbe. Keine Stimme. Nicht wie wenn jemand spricht, jedenfalls keine Wörter.
BAQIL: Zuerst hört man es nicht wie Sprache, man wird nur überwältigt. Mit der Zeit stellt es schärfer, dann ist es fast wie am Telefon.
EVA: Mit der Zeit? Ich will das nie, nie wieder haben. Ich halte das nicht aus. Nicht nochmal. Diese Angst … Ich hatte noch nie so eine Angst! Als ob ich verrückt werde. Wie diese Leute, die sagen, die Dämonen oder Engel reden mit ihnen.
BAQIL: Die Übertragung passiert über das Ding hier hinterm Ohr. Der Effekt, diese Angst, das ist eine Ausschüttung von drei Depots, du hast die im Körper. Das haben der Stier und der Widder dir eingesetzt. Er ist Neurochirurg gewesen, bevor er der Stier wurde. Hark kennt ihn vom Max-Planck-Institut.
EVA: Depots?
BAQIL: Das noradrenerge System wird aktiviert, dann wird Noradrenalin und Adrenalin freigesetzt, dann Vasopressin und noch was, ich hab’s vergessen. Das Resultat ist Panik, aber gesteuert, ich glaube, das Herz und die Atmung werden extra auch noch gereizt. Am besten, du stellst dich deiner Schuld.
EVA: Was hab ich denn getan?
BAQIL: Getan oder unterlassen. Deshalb sind wir hier, du, ich, Sven, Hark. Wir haben ihr was getan, oder wir haben ihr nicht geholfen. Doro.
EVA: Doro, was soll ich der getan haben?
BAQIL: Du warst ihre Galeristin und unsere. Das bedeutet …
EVA: Das bedeutet, dass ihr mich terrorisiert habt. Die ganze Zeit. Diese Eifersüchteleien, und jedes Projekt, immer, wenn ich mehrere von euch zu was kriegen wollte, Gruppenausstellung, immer habt ihr alles zerredet. Dann war der Ort nicht gut, dann war der Neid zu groß auf die andern. Ich hatte so oft keine Lust mehr. Ich hatte auf nichts mehr Lust. Ihr könnt euch alle nicht beschweren.
BAQIL: Du hast uns hauptsächlich inhaltslos gelobt. Immer der Spruch: Eine sehr gute Arbeit. Über jeden Dreck hast du …
EVA: Spinnst du jetzt?
BAQIL: Nicht so schnell, nicht aufstehen, du fällst hin …
EVA: Was, ich, Scheiße … Ach verdammt, ich …
BAQIL: Tut mir leid, warte, he, pass auf. So. Setz dich erst mal hin.
EVA: Nein, ich … Ich will nicht. Ich habe … oh Gott, warst du draußen? Die ganze Stadt ist ja … die Welt … draußen …
BAQIL: Schhhh. Ich weiß. Ruhig. Schhh. Komm. Versuch mal … Mensch, Eva, so … Ich helf dir. Schh. Ja?
EVA: Ja. Okay.
BAQIL: So. Besser?
(Mundwischen)
EVA: Ja. Danke. Ja. Wo hast du denn das, wo hast du das Taschentuch her?
BAQIL: Ist meins. Kannst du behalten. Ich zeig‘ dir mal … Ich hab das schon ein paarmal gemacht, dieses Aufstehen nach der Betäubung. Wenn das alles, die ganze Chemie und Elektronik im Körper…
EVA: Geh nicht weg.
BAQIL: Es geht um die Balance, verstehst du? Stell dich mal so hin wie ich.
EVA: O…kay.
BAQIL: So. Arm, rechts…
EVA: Das? Das ist … es ist … komisch.
BAQIL: Ich weiß. Fühlt sich fremd an, nicht? Und links.
EVA: Zu lang. Als ob der Arm zu lang … seltsam, echt.
BAQIL: Jetzt gehen wir ein Stück.
EVA: Geht besser. Viel besser.
BAQIL: Gut. Ich komm jetzt wieder zu dir, komm du doch einfach mal auf mich zu. Genau. Sehr … machst du gut.
EVA: Danke. Baqil, wirklich … dank dir, ich bin noch … wo … wo gehen wir eigentlich hin?
BAQIL: Hier. Noch ein Stück, so, schau? Hier, zum Band. Zur Kasse.
EVA: Wieso … was machen wir … da …
BAQIL: Du kannst dich hinlegen jetzt, du wirst sehen, das ist das Bequemste, entspannt total. Leg dich, leg dich auf den Bauch so, hier, ich zieh … dich … bisschen höher, schau mal, so, Gesicht da … da ist was wie eine Mulde. Das ist der Scanner. Die beiden Kissen hier, das kleine fürs Kinn und … genau, merkst du das, das ist …
EVA: Bequem. Du, ja … Was machst du?
BAQIL: Nicht den Kopf drehen. Bleib so. Gut, oder?
EVA: Ja. Gut. Bequem.
BAQIL: Wir unterhalten uns jetzt, okay? Dabei guck ich auf die Kasse, da gibt es eine Anzeige. Gleich wird es mal eben hell von unten, dann solltest du die Augen …
EVA: Ein rotes Licht?
BAQIL: Ja, das. Mach da mal die Augen zu.
EVA: Diese Maschine … was wird da gescannt?
BAQIL: Das geht ins affektive Rechnen, sentic computing, da werden dein Gesicht und deine Stimme … ich sehe eine Scheibe auf dem Schirm, einen Kreis von Emotionen, es gibt immer zwei einander entgegengesetzte Emotionen, zum Beispiel Hoffnung und Angst, oder Glück und Elend, das ist dann der Durchmesser von dem Kreis, und der Mittelpunkt ist einfach das neutrale, das Ruhegesicht. Das interpoliert und rechnet die Maschine alles, darunter liegt eine algebraische Struktur von Gesichtstransformationen mit beliebig gewählten Operatoren. Nicht leicht zu programmieren, es wird ja selten ein emotionaler Zustand alleine und isoliert ausgedrückt …
EVA: Klingt kompliziert.
BAQIL: Das ist einer von den fiesen Witzen hier, dass der Stier dieses facial-recognition-performance-Ding von mir übernommen hat. Aus meiner Computerkunst. Und Hark und … Sven … Und …
(Schock)
EVA: Baqil? Alles okay?
BAQIL: Nein, ja, doch, hey … geht schon. Er hat mich nur … erinnert, dass es hier … wir sollten reden.
EVA: Worüber?
BAQIL: Deine Arbeit im Laden.
EVA: Die Galerie?
BAQIL: Ja. Und Doro, und ich und Sven. Ich stelle ein paar Fragen. Für den Ablauf. Erstens: Hast du was gemerkt? Mit Doro?
EVA: Wie, mit Doro?
BAQIL: Zum Beispiel … das war ja länger, das mit Sven. Wie hast du das gesehen?
EVA: Ich fand es furchtbar.
BAQIL: Inwiefern?
EVA: Na, sie hat mir leid getan. Das war ganz sinnlos. Sven wollte ja immer eine Familie gründen, sein Dauerthema, auch in den Arbeiten: Familie, Monogamie, Werte, Spiel mit dem Spießigen, was seine Fans ja lieben. Deshalb hatte er zum Beispiel nie einfach ‘ne Freundin, es musste immer gleich eine Verlobte sein, erst diese in München und dann, als das kaputtging …
BAQIL: Aber mit Doro war er nie verlobt?
EVA: Doro war immer seine Geliebte, so neben den Weibern. Sie hat ja gern gebeichtet, ich wollte das aber nicht hören. Als Sven mit der ersten zusammen war, da sind sie ja dann miteinander ins Bett, Sven und Doro, und dann gab es ein paar Monate diesen Kleinkrieg, wie geht das nun aus, erfährt es die Verlobte von Sven, gibt es Krach, trennen die sich? Andererseits: Kannst du dir das vorstellen, Doro mit Kindern?
BAQIL: Doro ist tot.
EVA: Schon, aber, entschuldige. Doro und Sven und Reihenhaus, nein. Am Ende hat er Doro wohl eine Mail geschrieben: Es tut mir leid, wenn es die andere nicht gäbe, wär‘ ich bei dir, aber ich bin süchtig nach ihrer Liebe.
BAQIL: Was?
EVA: Süchtig. Sven ist süchtig nach der Liebe von dieser … von seiner Verlobten da.
BAQIL: Ach du dicke Scheiße.
EVA: So war er immer. Dieses Getue. Sprüche, süchtig nach der Liebe, oder einmal hat er zu mir gesagt: Ich mache nicht nur Kunstwerke, ich bin auch ein Kunstwerk.
BAQIL: Ich muss gleich kotzen.
EVA: Du kannst ihn eh nicht leiden.
BAQIL: Zur Sache zurück.
EVA: Oh, touchy.
BAQIL: Eva. Bitte. Und dann?
EVA: Dann ist Doro erstmal verschwunden, zwei Jahre. Nach dieser Trennung.
BAQIL: Weiß ich, weil ich der einzige aus unserm Kreis war, zu dem sie noch Kontakt hatte.
EVA: Da fing das an mit euch, oder?
BAQIL: Ja. Aber da sind wir noch nicht. Wir sind bei Sven. Was ist dann passiert?
EVA: Na, da haben sich kurz danach Sven und seine Braut auch getrennt.
BAQIL: Die, nach deren Liebe er süchtig war?
EVA: Es lief halt nicht.
BAQIL: Hmhmmhm.
EVA: Du, was weiß ich? Sie hatte vielleicht keinen Bock auf das Projekt, Märchenhochzeit und Vorgarten.
BAQIL: Und Doro? Wann, glaubst du, hat sie von der Trennung erfahren?
EVA: Ich glaube, erst, als Sven dann die nächste Verlobte hatte. Die er dann ja auch wirklich geheiratet hat.
BAQIL: Aber Doro hat das dann trotzdem wieder angefangen, mit Sven? Obwohl es eine neue Verlobte gab?
EVA: Als sie das erfahren hat, also, sie hat mir das später erzählt, da dachte sie: Interessant, angeblich wäre ich ja jetzt dran, aber Sven meldet sich nicht, und … Vielleicht weiß er gar nicht, was er will. Vielleicht kann ich ihm das zeigen, dass er mich eben doch will.
BAQIL: Das ist ja schlimmer als Masochismus.
EVA: Ich fand das auch grauenhaft.
BAQIL: Hast du ihr das mal gesagt?
EVA: Baqil, so geht doch das Leben nicht.
BAQIL: Wie geht es denn?
EVA: Woher soll ich das wissen? Die Welt ist zusammengebrochen und ich wurde entführt und operiert und werde jetzt ferngesteuert und von dir befragt und …
BAQIL: Bleib liegen, ja? Ich wollte nur wissen: Deine Meinung von der Sache mit Sven und Doro war schlecht und wurde immer schlechter?
EVA: Das kannst du aber singen.
BAQIL: Und das hast du weder ihr noch ihm gesagt?
EVA: Ihr was sagen, was sie nicht hören will … wollte … du warst doch mit ihr zusammen.
BAQIL: Ja. Ich weiß, was du meinst. Sie lädt einen zum Tanzen ein, aber man tanzt dann in einen Sturm. Und der Sturm ist sie.
EVA: Poetisch … aber, ja, so ist das. So war das.
BAQIL: Ist nicht von mir. Ist von Lorde, ihrer Lieblings…
(Schock)
EVA: Baqil? Alles okay?
BAQIL: Ja, ich … ja, ich hatte nur gerade einen … einen Stich in … der Stier findet wohl, wir driften zu weit vom Thema ab. Also, Sven …
EVA: Der hat sich ständig überschätzt – als ob ein Chaot wie er das könnte, Familie. Der hat Flüge verpennt und Aufträge und Einladungen und Verpflichtungen, sich aber immer alles draufgepackt, groteske Selbstüberschätzung … als der Alte krank wurde, mein teuerstes Pferd im Stall ...
BAQIL: Mertens.
EVA: Mein Weltstar. Wir hatten was vereinbart mit dem Guggenheim in New York, da wurde er krank, da sagt Sven ernsthaft zu mir: Wenn das ausfällt, vielleicht kann ich ja da was machen.
BAQIL: Wie, was machen?
EVA: Nein, der dachte, die können sich ja dann im Guggenheim auch Sven statt Mertens angucken, macht ja keinen Unterschied. Das ist, wie wenn irgendwo Robert De Niro ausfällt, dann nehmen wir halt Till Schweiger.
BAQIL: Es gab doch auch Ärger mit einem Sammler, oder? Meurer?
EVA: Ärger? Meurer hat den Sven gehasst! Es gab diesen Vorfall auf der Vernissage …
BAQIL: Das … ah, fuck …
(Schock)
EVA: Baqil? Was ist los?
BAQIL: Er ist ungeduldig heute. Der … ah … Also. Eva. Hier die … es geht nicht um die Vorfälle, es geht nicht um den Meurer und den Orangensaft. Es geht darum: Wieso hast du als Chefin nicht deine Macht …
EVA: Was? Macht, ich?
BAQIL: Ja Herrgott, jetzt stell dich nicht … so … Scheiße …
(Schock)
EVA: Baqil? Du machst mir Angst …
BAQIL: Wo sind hier … hier die … Scheiß… die Scheiß… Spucktücher … ahh …
EVA: Baqil?
BAQIL: Nicht aufrichten. Fuck, bleib liegen. Ich muss mir nur den Mund wischen gerade, ich hab … bisschen Blut …
EVA: Blut, oh Gott, Blut, Baqil …
BAQIL: Fuck. Ja, verdammt!
EVA: Was, ja?!
BAQIL: Nicht du. Der Stier … der ver… ihm gefällt nicht, wie ich … wie wir hier um den … um den heißen Brei … Hast du nicht … sagen wir mal, die Sache in Basel, als du mit … Doro ausgemacht hast …
EVA: Was? Du kannst doch diese Geschichte nicht …
BAQIL: Erzähl sie mal. Erzähl sie einfach mal.
EVA: Ja ja, schon gut, ich will doch … ich will doch auch nicht, dass … dass du Blut spuckst und Krämpfe kriegst oder was die mit dir machen. Ich kooperiere. Okay, was, Basel?
BAQIL: Basel.
EVA: Wir hatten diese Gruppensache, und Doro war nicht … Bitte, die Gastgeber hatten die Idee, dass man im Foyer eine Videoarbeit machen könnte, die haben dann halt gefragt, relativ spät allerdings, ob man das bis zur Eröffnung hinkriegt, und das war aber um 14 Uhr am Sonntag, da habe ich selbstverständlich Doro gefragt. Da hätte sie das Ding fertigmachen können, das mit dem Sex …
BAQIL: Die junge Frau und der Hund und Doro.
EVA: Ja, das Ding. Tropisch… nee …
BAQIL: Trophische Kaskade.
EVA: Ja. So hieß das. Sehr gute Arbeit. Wir hatten noch eine Woche, das Foyer war leer, ich habe gesagt, mach mal … wenn du was brauchst, ich unterstütze das voll, aber sie hat … sie hat mich dann fast eine Woche später … Samstagnachmittag angerufen, da sagte sie, nein, sie ist erst am Montag früh fertig, oder aber sie macht es schlechter, sagt sie, das geht auch, irgendwas mit der letzten Bearbeitung, digital. Da sage ich, ja, schade, nein, okay, dann machen wir es ohne Video. Nur, die Basler … die waren dann so wild auf diese Videowand, was hätte ich denn bitte machen sollen?
BAQIL: Was hast du denn gemacht?
EVA: Du weißt es doch. Der Sven.
BAQIL: Tja.
EVA: Sven hatte halt was fertig. Der hatte immer was fertig. Chaotisch wie er war, aber er war immer bereit …
BAQIL: Er springt immer gern ein. Für Mertens, zur Not für Picasso, Einstein und Hitler.
EVA: Er hatte was, ja, und ich habe es zeigen lassen, und? Der Film … trophische Kaskade, das Ding von Doro, ich habe das nie verstanden, dass sie da so beleidigt war. Sie hatte doch dann einen Riesenerfolg damit in Venedig, okay? Jahrelang hat sie mir das … sie konnte extrem nachtragend sein.
BAQIL: So, wie du sie erzählst, ist die Geschichte natürlich glatter, als sie war.
EVA: Wieso?
BAQIL: Der Samstag. Die Telefonate. Sie hat es mir erzählt, Eva. Erzähl‘ es mir genau.
EVA: Ich lüg‘ dich doch nicht an, was soll das?
BAQIL: Wie war das?
EVA: Na ja, die Basler sagen also, es muss aber pünktlich sein, da rufe ich Doro an, und sie ziert sich und sagt … warte, genau, so war es: Kann man es später machen? Sie hat gesagt, ich soll den Baslern sagen, wir installieren es am Sonntag nach der Vernissage.
BAQIL: Und wie hast du auf diese Idee reagiert?
EVA: Ich habe die Frau Möhringer … so hieß die … ich habe da angerufen, das fand die gar nicht gut, und … Also, Sven, der war schon in Basel, der hat wegen seiner Sache … der hatte mit der Möhringer schon geredet, und der wusste wohl auch von Doro, dass sie nicht rechtzeitig … der war praktisch schon mit der Möhringer einig. Die waren schon am Montieren, als Doro mich angerufen hat. Aber das wusste ich ja nicht, oder?
BAQIL: Ich weiß, du hast Doro eine SMS geschrieben. Da stand drin: Hetz dich nicht, es wird schon. Aber am Ende hing das Ding von Sven da.
EVA: Ja, okay. Nicht schön. Aber wieso wirft sie das mir vor und nicht Sven?
BAQIL: Vielleicht, weil du es immer so gemacht hast. Allen alles versprechen und dann den Weg des geringsten Widerstandes. Dann tauchst du ab und kannst nichts dafür.
EVA: Mir braucht ein Künstler nichts von Verantwortung zu erzählen.Wenn ich nicht immer alles machen würde … Baqil, was ist? Baqil?
BAQIL: (rutscht vom Stuhl)
EVA: Baqil? Scheiße … Ba… was is, was … was macht … (klettert vom Laufband, wankt, tastet, will ihm helfen, wird aber schnell träger, schwach, schwindlig, müde, sinkt neben ihm in die Bewusstlosigkeit, zu Boden.).
6.
BILD: Ein Vortrag von jemandem, der sich nicht vorbereitet hat, und denkt, das wäre so schön antiautoritär, wie er da ganz uneitel und bescheiden nach seinen Gedanken sucht vor Publikum: das ist das Allerletzte, weil er ja trotzdem der Vortragende ist, da ja nicht alle gleichzeitig reden können, und sein unvorbereitetes Gestammel dann einfach Terror bedeutet, Geiselnahme, alle sind jetzt seiner Hilflosigkeit ausgeliefert. Das Publikum quälen durch Chaos. Meine Frage war: Kann man das optimieren? Kann man das maximale Störpotential finden, um das Publikum so richtig zu foltern und zu zerbrechen? Welche Funktionen im Sobolewraum dieser ganzen Sender-und-Empfänger-Scheiße muss ich knacken, wie kann ich die kleinsten Signaleinheiten finden und absetzen, um eine bereits gestörte Abstimmung von Rahmenraten aufeinander nur immer schneller immer weiter zu stören? Die Leute aufzuhetzen, das war ein kindischer Einfall. Sie dazu zu bringen, einander aus den wechselseitigen Zeitfenstern fürs Verstehen zu schütteln und zu schubsen, das ist viel zerstörerischer. Das kann man in sehr kurzer Zeit machen – in dem Moment, den es braucht, ein Bild anzuschauen, einen Song zu hören oder sich ein Urteil über eine Figur in einem Theaterstück zu bilden. Es ist Folter, aber sehr kurze Folter. Die ist nötig, wenn man das Geflecht dieser bescheuerten Gesellschaft auflösen will. Die Leute denken, sie verstünden einander. Ich wollte sie zwingen, zu kapieren, dass sie das nicht tun. Wie man ein schlecht verheiltes gebrochenes Bein absichtlich nochmal bricht. Sadomoralismus. Herzlich Willkommen!
7.
(Stier/Widder)
STIER: (hat einen Kasten dabei mit Geräten, stellt ihn neben den Bock, dann gehen beide zur Kasse) Nimm ihn mal unten. Das Bein da, nimm’s höher. Ich schwöre dir, das ist Absicht, dass er so schwer ist, dieser Mensch. Die ganze Masse ist nichts als Trotz. (Beide arbeiten, bringen Baqil und Eva zurück zu ihren Sitzen, fixieren sie dort) Ja, schau nicht so. Ist mir alles klar, du findest es abscheulich, inklusive die Auswege, das schnelle Gift, das langsame Gift, Herz und Hirn. Am Allerabscheulichsten findest du die Sache mit Sven. Die Stufe der Angst, und eigentlich findest du jede Stufe im Ablauf zum Kotzen. Aber wenn du wirklich nicht mehr kannst, es gibt die zwei Röhrchen, nicht? Das schnelle Gift und das langsame Gift, für dich in Röhrchen, für die andern im Depot. Ich hab’s dir gezeigt, in der Beobachtung, und das Fach ist nicht abgeschlossen. Du kannst es nehmen, ich kann es nehmen. Absolute Freiheit zum Ausstieg, an jedem Moment im Ablauf. Nimmst du das langsame, dann gehst du sie durch, die Geschwindigkeiten. Du würdest sehen können, wie eine Fliege sich von der Fensterscheibe abstößt, wenn sie losfliegt. Nach einer Weile bist du dann allerdings auch tot, es sei denn, jemand ernährt dich künstlich, denn um deinen Stoffwechsel wirst du dich nicht mehr kümmern können, wenn du das langsame Gift erst mal im Leib hast. Du verhungerst und verdurstest, merkst es aber nicht, weil du es nicht mehr sortiert kriegst. Mir wäre das schnelle Gift lieber. Da bist du einfach futsch. Herztod. Was meinst du? Es wäre mir wirklich lieber, du könntest sprechen. (Als sie mit Baqil und Eva fertig sind, befreien sie den bewusstlosen Sven aus seinem Sitz und bringen ihn zum Bock, dort wird er bäuchlings festgemacht). Ja, schon gut, ich seh’s ja. Geh halt. Geh in die Beobachtung, oder in die Koje. Ich komme klar. Er wacht schon auf, siehst du? Willst du nicht erleben, gut. Bis nachher.
(Widder ab)
8.
STIER: (klatscht Sven die Flanke) Hey, Aufwachen! Hü, Pferdchen! Wir haben nicht ewig Zeit hier.
SVEN: Wa… ver… ah, was denn? Hör auf, du … hör auf! Was will… willst … Hilfe! Hallo?
Hilfe!
STIER: Here we go again. Ja, schrei dich aus.
SVEN: Hilfe! Fass mich nicht an! Ich warne dich!
STIER: Ich bin immer wieder beeindruckt.
SVEN: Weg! Weg mit den Fingern! Ich bring dich um!
STIER: Zweifellos.
SVEN: Schwein! Das ist … das ist! Du …
STIER: Und jetzt das Geheule und Geblubber. Jedesmal dasselbe.
SVEN: Das kann doch nicht sein … das kann doch nicht sein … das kannst du nicht … Das könnt ihr nicht machen … ich bin ein Mensch … das geht doch nicht …
STIER: In Ordnung. Ist gut. Lass es raus. Gut. Jetzt. So. Fertig?
SVEN: Schwein … Sch… Schwein.
STIER: Ja. Schwein. Okay. So. Jetzt ich.
SVEN: Was?
STIER: Ruhig, es ist alles wie immer. Fragen.
SVEN: Was soll der Scheißdreck?
STIER: Ruhig und vernünftig, das magst du nicht. Klar, aber schade.
SVEN: Ach, fick dich doch.
STIER: Dazu später. Jetzt die Fragen.
SVEN: Mach doch, was du willst.
STIER: Schön wär’s. Erstens: Was hast du in Frankfurt am Bahnsteig zu ihr gesagt, bevor du in den Zug gestiegen bist?
SVEN: Was? Das ist doch alles … Ich erinnere mich doch jetzt nicht …
STIER: Solltest du aber. Ich helfe dir.
SVEN: Au! Aua! Du dreckiger …
STIER: Still jetzt. Sonst kommt die Angst. Nicht weinen. Konzentrier dich. Es war kurz vor deiner Hochzeit. Du hast Doro besucht, in Frankfurt. Auf dem Weg in die Schweiz. Weißt du das noch?
SVEN: Ja.
STIER: Was, ja?
SVEN: Im Sommer.
STIER: Richtig, im Sommer 2016. Deine Verlobte war in Berlin, aber Doro durfte dich am Bahnhof nicht umarmen, richtig?
SVEN: Man kennt uns beide in Frankfurt. Ich wollte keine Missverständnisse.
STIER: Also erst in der Wohnung, in ihrer Wohnung hast du dich … sagen wir: entspannt.
SVEN: Ich habe nichts getan, ich habe nicht … es kam zu keinem …
STIER: Ja, schon gut, Mr. President. You did not have sex with that woman.
SVEN: Nicht an diesem Abend.
STIER: Du hast da übernachtet. Bei Doro Coppe.
SVEN: Ja, na und? Ich habe … wir haben dann in separaten Zimmern geschlafen.
STIER: So, wie ich es weiß, hast du morgens aus deinem separaten Bett nach ihr gerufen, „ich bin waaach“, als Kuscheleinladung. Bestreitest du das?
SVEN: Wieso sollte ich bestreiten, was … he, was machst du?
STIER: Ich zieh dir die Hosen runter. Gehört zum Ablauf.
SVEN: Was soll das sein, eine, was ist das, filmt ihr das?
STIER: Hier, schau mal. Weißt du, was das ist?
SVEN: Wie bitte? Also … Das ist ein Riesen…dildo, soll ich jetzt ohnmächtig werden?
STIER: Klären wir gleich. Jetzt erst mal zurück: Sie kam dann, und du hast die Decke zurückgeschlagen und lagst da in deiner Unterhose …
SVEN: Ich will über das nicht reden! Das sind meine privaten, persönlichen Sachen, und … Nimm das Ding weg! Nimm das weg, oder ich schwöre …
STIER: Ich glaube, es ist dir lieber, wenn ich hier vorne damit herumwedle, als wenn ich nach hinten gehe und dir das erkläre.
SVEN: Was willst du mir erklären?
STIER: Erstmal du. Erklär mir, wie das gemeint war, mit dem Kuscheln, und ob das stimmt, was Doro Coppe sagt, dass du sie am Bahnhof auf die Stirn geküsst und zu ihr gesagt hast: Danke, dass du so lange wartest.
SVEN: Ich habe, ja, was denn, meinetwegen habe ich das gesagt, es war eine komplizierte Beziehung. Ich wollte stabile Verhältnisse, eine Ehe, halt nicht mit Doro, die das ja eben auch nicht wollte, und die aber sagte, sie wolle dem dann andererseits auch nicht im Weg stehen.
STIER: Wolle.
SVEN: Was?
STIER Sie wolle dem nicht im Weg stehen. Du redest von wolle. Dir ist nicht mal aufgefallen, dass die Welt draußen untergegangen ist.
SVEN: Was? Pfff! Welt? Die Welt? Untergegangen? Lächerlich! Wegen dem bisschen Stau und Unfall und dem Durcheinander mit dem … Internet?
STIER: Durcheinander mit dem Internet. Sagenhaft. Du sagst, es war kompliziert mit Doro, dabei war es einfach eine Vergewaltigung, und diesen Gummischwanz hier, denn habe ich dabei, um dir das klarzumachen.
SVEN: Eine was, eine was? Eine Vergewaltigung? Was?
STIER: Das wäre meine zweite Frage: Ist dir klar, dass das eine Vergewaltigung war, wenn man jemandem gegen dessen Willen das Herz aufbricht, sich darin vergnügt und dann abhaut? Du bist mit ihr ins Bett, und dann hast du diese Falle gebaut, von wegen, wir lieben uns, aber es ist so schwierig, weil ich der kompliziertere Mensch bin, liebe Doro, bitte spring, wenn ich mit der Peitsche knalle, und halte dich bereit für meine Launen.
SVEN: Das ist eine absurde Karikatur.
STIER: So, jetzt wollen wir doch mal sehen hier.
SVEN: Geh weg! Geh da sofort weg! Ich warne dich!
STIER: Man muss dich wirklich immer erst übersetzen. Ich warne dich, das heißt, du hast Angst.
SVEN: Das kannst du nicht machen! Ich soll der Böse sein, ich soll schuld sein, dass sie tot ist? Aber den Baqil fragst du nicht! Das war viel schlimmer! Zweimal hat er sie sitzenlassen, zweimal aus heiterem Himmel, und sie wollten in dieses Land fahren! In das Land, wo er herkommt, dieses … zu diesen Arabern! Der, der hat sie fertig gemacht!
STIER: Ja, der hat fertiggemacht, was du angefangen hast.
SVEN: Aufhören! Auf-!
STIER: Mir gefällt’s auch nicht, kannst du mir glauben. Na schön. So. Was bist du bloß für ein Typ. Weinst, aber bereust nichts. Hör auf zu winseln. Nichts ist passiert. Ich habe nur gedroht und dir die Hose ausgezogen und dir das Ding an den Oberschenkel gelegt, da bist du schon fast gestorben. Lassen wir’s. Du bist frei.
SVEN: Was?
STIER: Steig runter, und zieh die Hose an. Geh. Schau sie dir an, diese Welt, von der du glaubst, sie wäre nicht untergegangen. Geh da rechts runter, da kommt eine Tür, der Code ist „trophische Kaskade“, das gibst du ein im Buchstabenfeld, dann geht die erste Schleusentür auf, da rein, Bewegungsmelder, dann geht sie zu, dann die andere auf, dann bist du draußen.
SVEN: Aber ich … aber …
STIER: Zur Tür bringen werd‘ ich dich nicht. Sieh zu, dass du Land gewinnst. Depp.
(Dunkel)
9.
BILD: Wenn zum Beispiel so ein Zerstreuter dann sagt: Wo war ich?, weil er den Faden verloren hat, da stimmt ja nun gar nichts, die Frage muss natürlich lauten: Wann war ich?, und nur dann kann man die richtige Antwort geben, die nämlich lautet: Bis jetzt noch nicht, du stehst dir immer erst bevor, das ist der Trick beim viel zu großen menschlichen Hirn.
(Licht)
10.
EVA: Baqil? Wach auf! Du musst mir helfen!
BAQIL: Was was … Was reißt du denn an mir rum?
EVA: Ich glaube, denen ist ein Fehler passiert. Das Zeug funktioniert nicht. Das Zeug im Körper, was uns müde macht und bewusstlos. Vielleicht hat der Stier vergessen, irgendeinen Knopf zu drücken oder sowas.
BAQIL: Was für einen Knopf? Wieso läufst du frei rum? Wo … ist Sven?
EVA: Ich hab das alles mitgekriegt! Ich konnte mich nicht bewegen, aber ich war auf einmal wach, ich habe alles gehört, die Gesichtsmuskeln waren wie, also, wenn man beim Zahnarzt eine örtliche Betäubung kriegt, und die Lider schwer, aber ich konnte zwischen … ich konnte sehen … er hat Sven gehen lassen. Erst hat er ihm Angst gemacht da auf dem Bock mit einem Dildo …
BAQIL: Mit … was hat er?
EVA: Der Stier hat so getan, als ob er Sven vergewaltigen wollen würde. Es war ein blödes Gleichnis wegen Doro, weil Sven so mit ihr gespielt hat über Jahre, aber dann hat er es doch nicht getan, der Stier, meine ich, sondern er hat ihn freigelassen, er hat ihm gesagt, wie der Code geht, nämlich wie der Titel von Doro, trophische Kas… trophische Kaskade, das ist die Tür, dann ging er weg und das Video hat wieder … da ging das Licht an … die Fesseln waren los, an den Händen, und die Beine habe ich selber …
BAQIL: Warte, warte. Zurück. Welcher Code?
EVA: Es gibt eine Schleuse, da kann man raus, wenn man die Buchstaben weiß, ich nehme an, es sind so Wählfelder wie beim Telefon.
BAQIL: Und du willst abhauen? Raus?
EVA: Ich … Ach, ich weiß doch gar nicht.
BAQIL: Was weißt du nicht?
EVA: Ob es draußen überhaupt … besser ist.
BAQIL: Draußen ist es schlimm. War schon schlimm, als sie mich ins Hotel gelockt haben. Der Stier und der Widder haben mich in einem Hotel betäubt, das war eine Falle, da bin ich hin, weil es hieß, die Stromversorgung …
EVA: Ja, das haben viele gemacht in der ersten Woche, als das Chaos losging, weil ja noch Notstrom … in den Hotels, die hatten ja eigene Generatoren zum Teil, die großen, und weil es ja hieß, in den Bekanntmachungen … Erst waren es die Amis, oder? Dann Westeuropa, dann Russland, erst hieß es, Cyberkrieg, russische Hacker, aber als die Russen dann auch …
BAQIL: Dieser Typ von der NATO hat gesagt, das wäre Ablenkung, aber die vernünftigeren Menschen …
EVA: Nee, das war anders. Oder … ich erinnere mich anders. Die … es war was Chinesisches.
BAQIL: Ich habe das mit Sven schon besprochen. Der erinnert sich auch anders. Der weiß nichts von dem Chaos. Und noch … es ist noch seltsamer. Sie haben uns hier ja gefoltert, aber … ich dachte, mir hätten sie Rizinusöl eingeflößt und den Sven mit einem Bunsenbrenner … Aber er sagt, es wäre genau umgekehrt gewesen. Ich dachte, vielleicht verarscht er mich, aber Hark hier, der erinnert sich wieder anders, der sagt … und dann haben wir über unsere Sachen vorher geredet. Wie es war, bevor wir herkamen. Und es ist, als ob wir … völlig verschiedene Geschichten … Als ob du, ich weiß nicht, du setzt ein Publikum hin und spielst ihm vor, was mit der Welt los ist, und sie denken, es ist ein Stück, ein Spiel, weil sie es nicht wiedererkennen. Wie war es denn bei dir? Vorher?
EVA: Wir sind mit dem Auto los, der Thomas und ich. Wir wollten auf‘s Land. In Brandenburg haben wir dieses halb renovierte …
BAQIL: Das ehemalige Bauernhaus?
EVA: Na ja, Bauern waren da keine. Da war Bergbau. Bis zur Wende, und dann …
BAQIL: Seid ihr durchgekommen?
EVA: Dritte Woche. Sven war schon lange verschwunden. Von dir hatte ich auch nichts mehr gehört, und von … einigen anderen. Vielleicht gibt‘s mehr solche Orte wie hier. Kann das sein?
BAQIL: Am Ende, bevor man dich hergebracht hat …
EVA: Wir haben es nicht mal nach Brandenburg geschafft. Die Straßen, und erst recht die Bahn …
HARK: Gebt euch keine … Gebt euch keine Mühe.
EVA: Hark!
BAQIL: Du bist wach?
HARK: Der Stier hat keinen Fehler gemacht. Vergessen Sie den Ausweg, Eva. Es gibt nur einen. Na, einen doppelten. Er hat ihn uns erklärt, am Anfang. Schnelles Gift, langsames Gift, man sagt ein Sprüchlein, die Depots schütten es in den Leib. Sonst nichts.
BAQIL: Wollte ich auch grad sagen. Es gibt nur diesen einen Ausweg. Und den will ich nicht. Keinen von beiden. Das ist alles abgekartet und ausgerechnet. Scheiße, ich bin so müde. Ich hab’s satt.
EVA: Wovon redet ihr?
HARK: Soll ich es ihr sagen oder …
BAQIL: Wir können sterben.
EVA: Was?
HARK: Er meint, der Ausweg ist ein Gift. Oder besser, es gibt zwei Gifte. Doppelter Ausweg. Herz oder Hirn.
BAQIL: Zwei Sätze.
EVA: Sätze?
HARK: Unsere Körper sind hier so eingerichtet, dass wir sie zerstören können, entweder vom Herzen oder vom Hirn her. Es gibt zwei Gifte in den Depots in uns, eines löst sofort einen Herzstillstand aus, das andere … macht mit unserem Hirn das, was die … Ereignisse, von denen wir gerade reden, die Ereignisse da … draußen mit der ... Das hält das Hirn dann nicht lange aus. Der Stier hat uns mitgeteilt, wir müssen nur laut und deutlich sagen …
BAQIL: Vorsicht!
HARK: Ja, ich weiß. Also, wir müssen sagen: das schnelle Gift, oder wir sagen: das langsame Gift, aber davor jeweils die beiden Wörter, die man auch bei der Hochzeit sagt.
EVA: Ich will?
HARK: Nicht!
EVA: Nein, ich will es ja nicht. Ich will nicht sterben.
BAQIL Warum?
EVA: Was?
BAQIL: Warum willst du nicht sterben? Wenn du das draußen gesehen hast, wenn du das drinnen kennst? Jetzt schweigt der Stier. Er hat mir gesagt, dass ich dir das klarmachen soll, aber er weiß so gut wie alle außer dir, dass du es nie lernen wirst.
EVA: Was soll ich lernen?
BAQIL: Du wachst auf, und du weißt, man kann raus, du hast Sven gehört, er ist gegangen. Aber du gehst nicht, du weckst uns. Du versuchst, dir die Entscheidung abnehmen zu lassen. Wie immer. Wer soll das ändern?
HARK: Rhetorische Fragen kann man auch ernst nehmen. Also. Es gibt in dem, was du tust und dem, was du drüber denkst, sozusagen eingebrannte, trainierte, gewohnheitsmäßige kleine Funktionen, teils kontinuierlich, teils in Päckchen, Dispositionen zum Handeln in Wavelets und Framelets. Gut, nur, was heißt eingebrannt, gewohnheitsmäßig? Das heisst, der Überprüfung entzogen. Für wen? Für dich, für andere? Für die Figuren im Stück, fürs Publikum, für die Dramaturgie, die Regie? Nehmen wir mal an, du glaubst, ich könnte es eh nicht lernen, was mich da durch meine Routinen jagt, aber du selbst hast es für dich jetzt nach deinem eigenen Zeugnis gerade doch durchschaut. Warum demonstrierst du das dann nicht einfach? Warum zeigst du es dem Stier und der Beobachtung nicht? Vielleicht gibt es ja eine Belohnung. Einen anderen Ausweg als den Tod.
BAQIL: Ach, das ist so Bert Brecht, Lehrstück, was haben wir gelernt? Dieses beschissene Verhalten von Menschen gegenüber Menschen, und wie das schiefgeht, aber nicht mal politisch, sondern schon ganz klein, intim, ein paar Personen, Liebe und Karriere. Was ist denn passiert? Wie soll man daraus lernen? Soll ich mich in Doro neu verlieben, halt, nein, sie lebt ja nicht mehr, siehst du, geht nicht!
HARK: Aber es gibt Muster.
BAQIL: Allerdings. Jede Beziehung erzeugt und stabilisiert Muster. Nur, gerade da kommt es gar nicht drauf an, was einer von beiden gelernt hat aus dem letzten Desaster, weil er ja eben nicht alleine handelt. Es gehören immer zwei dazu. Mindestens.
EVA: Jetzt machst du genau das, was du mir vorwirfst. Gibst anderen die Schuld und den Umständen.
HARK: Es ist sowieso viel zu abstrakt gedacht. Es geht doch um unsere konkreten Geschichten mit Doro. Um deine auch, Baqil.
BAQIL: Was willst du von mir? Eine Zusammenfassung? Mann mit libanesischem Vater und deutscher Mutter will Künstler werden. Studiert in Berlin, verdient erstes Geld als Kunstkritiker, interviewt die neue Sensation Doro Coppe, die ihn an ihre Galeristin vermittelt. Beziehung. Wir fahren in den Libanon, wo ich mit sechzehn das erste Mal war, Verwandte besuchen, und die Sprache nur so gerade kann, also, für Konversation reicht’s. Wir recherchieren da beide, wegen Kunst. Ich mache was, sie macht auch was, meins wird auf einer Gruppenausstellung gezeigt, ihrs, dieses politische Weltdiagrammtheater, wird eine mordsmäßige Show in Karlsruhe. Es ist unsere beste Zeit, die elf Tage im Libanon sind … sie sagt, ich wäre der Richtige für sie, und dass ich ihr noch Zeit geben soll mit dem Quatsch mit Sven. Sie zieht bei mir ein, das heißt, sie hat zwei Wohnungen, eine in Frankfurt, eine mit mir in Berlin. Und ich schlucke meine Eifersucht runter, ich meine, ich habe ihr nie ein Ultimatum gestellt …
HARK: Vielleicht hättest du das tun sollen.
BAQIL: Danke auch für den Hinweis, Herr neurowissenschaftlicher Menschenmanipulator. Es war wie in einem Dampfkessel, dieser Druck in mir … ich konnte es ihr nicht zeigen. Aus Stolz vielleicht. Und weil ich dieses Klischee so zum Kotzen finde, der unbeherrschte, der besitzergreifende arabische Mann. Ich habe gelitten wie ein Hund. Und dann, nach einem Wochenende in Frankfurt, hatte ich genug, und habe ihr ihren ganzen Kram aus meiner … aus unserer Berliner Wohnung nach Frankfurt geschickt, kommentarlos, in Kisten. Und war nicht mehr zu erreichen. Aus.
EVA: Krass. Das wusste ich gar nicht.
HARK: Aber damit war es nicht zu Ende, oder?
BAQIL: Zuerst schon. Sie hat mir Mails geschrieben, SMSen, eine Flut von … ich konnte darauf nicht antworten. Sorry. Feige vielleicht. Bin dann ein halbes Jahr nach Los Angeles. Wiedergetroffen haben wir uns dann lustigerweise in Münster, weil die dort so ein Festival … wir haben geredet, und wir haben … ich würde sagen, wir haben festgestellt, dass da doch eine Verbindung war, die … vielleicht nichts Romantisches, aber was Tiefes, was …
EVA: Ja, ehrlich gesagt, wenn man euch zusammen gesehen hat, das ergab schon Sinn.
HARK: Sinn, das ist wirklich nicht romantisch.
BAQIL: Red‘ doch mit dir selbst, Idiot. Wir haben da in Münster … es war die Zeit, in der die Flüchtlingssache losging, und sie sagte, sie müsste oft an den Libanon denken, an unsere Zeit, daran, dass sie vorher ganz starre Vorstellungen gehabt hätte von arabischen, von muslimischen Verhältnissen, und … Und spontan dachte ich, nein, das war doch wirklich sehr schön gewesen damals, da sagte ich auf einmal, vielleicht sollten wir nochmal hinfahren. Nicht als Liebespaar, aber vielleicht als Freunde und als Künstler. Sie sagte dann: Ja, aber wenn wir neue Partner haben, dann? Und ich … ich fühlte mich irgendwie gedrängt, zu sagen, das müssen die dann eben verstehen. Heute würde ich … na ja, könnte, wäre. Bla. Da hat sie gelacht, da haben wir die Hände geschüttelt wie zwei, die ein Geschäft abschließen, und es war so … ja, beschlossen. Zweite Libanonreise.
EVA: Aber die Reise fand nicht statt.
BAQIL: Nein. Ich habe … ich hatte kurz darauf … es gab eine Frau in Los Angeles, die dann nach Kassel gezogen ist, und da habe ich bei der Reise einen Rückzieher gemacht, weil sie das nicht wollte.
EVA: Aber Doro hatte doch genau das gefragt: Was, wenn neue …?
BAQIL: Ja, na, das war theoretisch gewesen, oder? Das mit Pat, also Patricia aus LA … das war dann doch nichts, und … da näherten wir uns einander wieder an, Doro und ich.
HARK: So, so. Man näherte sich an. Magnetisch, oder wer hat da wen angenähert?
BAQIL: Pfff, ich habe Doro halt irgendwann angerufen und …
HARK: Und dich entschuldigt, nicht? Das hat sie mir erzählt. Die längste telefonische Entschuldigung aller Zeiten.
BAQIL: Wegen der zweiten Libanonreise, die es nicht gab, ja. Ich habe ihr gesagt, dass ich das selbst das Schlimmste fand, was ich je gemacht habe. Erst versprechen, auch mit neuer Beziehung, und dann genau das nicht, weil … weil es so … Ich meine, falls du das wirklich hörst, hey, Stier! Meine Entschuldigung, die lässt du verspotten, von dem Witztypen hier, aber dass Sven sich nie entschuldigen würde, das ist offenbar auch Scheiße. Was gilt jetzt?
HARK: Das kann sogar ich beantworten, als Witztyp. Da braucht es den Stier nicht. Sven denkt, er kann seine Vergehen ungeschehen machen, indem er sie ignoriert. Du denkst, du kannst sie ungeschehen machen, indem du sie bei dir selbst anklagst. Beides ist falsch, die Lektion ist: Man soll so was nicht machen.
BAQIL: Doro hat mir bei dem Telefonat gesagt: Ich habe das nie verstanden, die Trennung. Wir waren gut zusammen. Hättest du halt gesagt – sie meinte mich – , hättest du halt gesagt: Das mit Sven muss aufhören, das hätte ich gemacht. Das beendet.
EVA: Stimmt, irgendwann hat sie es ja auch wirklich beendet.
HARK: Wobei man fragen kann, ob sie den Mut gehabt hätte, es zu beenden, wenn Baqil nicht gegangen wäre.
BAQIL: Genau das hat sie zu mir gesagt: Ich konnte mich von dem losreißen, von Sven, als mir klar wurde, so wie mit Baqil wird es mit jedem laufen, solange ich auf Sven fixiert bin. Und dann sagt sie: Ich will dir da auf keinen Fall reinreden. Wenn Pat für dich richtig ist, mach das. Andererseits, wenn ich richtig bin, viel Zeit haben wir nicht mehr.
EVA: Meinst du, sie hat es damit angekündigt? Dass sie vorhat …
BAQIL: Das wär schlimm. Keine Ahnung. Ich hab mich dann von Pat getrennt.
EVA: In Berlin, nicht? Wenige Stunden vor einem Treffen mit Doro …
BAQIL: Du weißt ja wirklich alles. Oder der Stier weiß alles. Ich habe Doro … wir sind in ihr Hotel und … Na, wir waren wieder zusammen.
EVA: Ja, ich erinnere mich, dass sie mir das erzählt hat, im Winter. Sie war total euphorisch.
HARK: Das klingt, als wärst du skeptisch gewesen.
BAQIL: Ah, Umschalten. Jetzt wechselt die Prüfung. Jetzt bis du wieder dran, Eva.
HARK: Nein, Baqil, warte mal. Du hattest gleich sehr große Pläne mit ihr, sagte sie mir, Kinder, ein Haus in Frankfurt …
BAQIL: Ja.
HARK: Und sie? Wie hat sie reagiert?
BAQIL: Sie hat gesagt, lass uns ein Jahr lang sehen, wie es geht. Und ich, das ist ja wahrscheinlich jetzt mein Hauptverbrechen, ich war davon, das war im November, so angestachelt in meinem Ehrgeiz, ihr zu beweisen, diesmal klappt es, ich habe gesagt, lass uns fliegen, Libanon, im Februar, sofort. Ich wollte dieses Probejahr … ich wollte das vollstopfen mit Erfolgserlebnissen für uns. Also, dritte Libanonreise sozusagen. Die zweite war ja ausgefallen. Also Pläne, Flugtickets und … Scheiße.
EVA: Oh. Jetzt verstehe ich. Sie hat mir das … ach du lieber Gott. Du hast sie wieder abgeschossen, oder? Du hast sie … nachdem ihr das alles geplant hattet, nachdem ihr wieder … im November … anderthalb Wochen vorher, nachdem sie auch bei mir ihren ganzen Kalender freigeräumt hat und sogar eine Ausstellung gecancelt. Und dann bist du nach Frankfurt und hast alles beendet. Die Reise wieder abgesagt. Also bei der dritten genau dasselbe gemacht wie bei der zweiten, trotz Entschuldigung für die zweite.
BAQIL: Ja.
HARK: Warum?
BAQIL: Was, warum?
HARK: Ganz einfach: Warum macht man sowas?
BAQIL: Von dir hat sie mir auch erzählt, mein Lieber. Dass du geflirtet hast, und mit ihr ins Bett bist und dann doch nicht wolltest oder …
EVA: Er hat nur gefragt, warum du das gemacht hast. Er sitzt auch hier. Er weiß, dass er Scheiße gebaut hat.
BAQIL: Diese ganze Idee von Beichte und Strafe hier, das ist doch alles ganz genau so bescheuert wie meine Entschuldigung oder Svens Ignoranz. Ich dachte, ich liebe sie, aber ich wollte wohl einfach für mein Ego die Entschädigung, dass die Svenscheiße vorbei ist und ich gewonnen habe, und sie war ja auch fantastisch zu mir in diesen drei Monaten, aber … warum hab‘ ich es gemacht? Selbthass? Rache wegen Sven? Oder, na ja, vielleicht … hatte ich das Gefühl, sie will von mir gerettet werden. Nach der Sache mit Sven. Und das kann ich nicht. Bin kein Retter. Was macht’s für einen Unterschied, warum ich es so gemacht habe?
HARK: Im Ablauf hängt die Frage dran, ob Menschen überhaupt …
BAQIL: Ablauf! Scheiße!
EVA: Baqil, bitte, jetzt reg‘ dich nicht so auf. Was willst du denn?
BAQIL: Ich sag dir, was ich will: Ich will das schnelle Gift! Hört das wer? Ich sagte: Ich w… ich … ich wi…
(Das schnelle Gift tötet Baqil)
EVA: Nein, das … oh bitte, nein, bitte … oh nein …
HARK: Fuck.
EVA: Baqil … Baqil, bitte, oh Gott …
HARK: Jetzt … jetzt haben wir wirklich richtig … Nein, nein, ich will nicht, ich, bitte nicht, bitte nicht, es ist in … es ist …
(Flut in Hark)
EVA: Was? Was ist los, was haben Sie, was machen …
HARK: Die Angst … diese sie … meine … bitte …
EVA: Hark! Hark! Hallo? Hallo! Stier, oder … hallo! Das geht nicht, hört auf! Hört auf!
(Dunkel. Rufe)
11.
BILD: (EXPOSITION)
(Licht. Stille)
12.
STIER: Du kannst ihm nicht helfen, Eva.
EVA: Was ist mit ihm? Er guckt. Er blinzelt. Er schläft nicht, aber er reagiert auch nicht.
STIER: Induzierte Angst. Er ist vor Angst gelähmt.
EVA: Gehört das zur Prüfung, von der die beiden geredet haben, er und Baqil?
STIER: Du hast eine zu enge Vorstellung davon, was das ist, eine Prüfung. Du denkst dich nur als Geprüfte. Aber wenn irgendwelche Leute, Menschen oder Stiere, glauben, dass sie dich prüfen, kannst du sie zurückprüfen. Jede Prüferin, jeder Prüfer setzt sich durchs Prüfen einer Prüfung aus, weil mit dem Prüfungsakt die Behauptung erhoben wird, diese Prüferin oder dieser Prüfer eigne sich als Prüfungsinstanz. Und das kann man prüfen. Wenn jemand zum Beispiel Anspruch auf deine Liebe erhebt, kannst du sofort prüfen: Hat diese Person überhaupt Liebe zu bieten? Oder wenn du dich wo bewirbst, dann kannst du beim Bewerbungsgespräch checken: Wie läuft das hier, taugt der Laden was? Der Pferdefuß ist, sobald du prüfen kannst, musst du auch prüfen, sonst fällst du selbst durch.
EVA: Ich kann das nicht. Ich hab‘ riesige Angst.
STIER: Das ist keine künstliche. Nicht wie bei Hark. Du willst nicht raus?
EVA: Um Gotteswillen, nein.
STIER: Du willst nicht … dich oder Hark befreien?
EVA: Nein, wie denn?
STIER: Weißt du, was du hättest … anders machen können?
EVA: Ich … nein. Wenn ich ehrlich bin: Alles, natürlich, hätte ich es anders machen können. Und wahrscheinlich sollen. Aber es kommt mir nicht so vor, als hätte ich wirklich eine Wahl gehabt. Sven, Doro, Baqil … es war ihr Leben, oder? Wieso soll ich sie vor sich selber retten?
STIER: Du redest, als wäre ohne dich alles genauso gekommen.
EVA: Das klingt … so fühlt es sich an.
STIER: Ich verstehe. Gut. Dann schlaf, Eva.
(Sie sinkt zusammen. Widder)
STIER: Hilfst du mir? Hier. Die Beine. So.
(Arbeit)
STIER: Festmachen. Guck nicht immer zu ihm rüber. Wir müssen ihn nachher… ach so, der andere. Ja. Der interessiert dich? Na gut. Er wird gleich … er ist gleich durch, dann müssen wir den Rest entscheiden. Kannst du mir einen Gefallen tun? Hol‘ die Spritzen. Geh‘ in die Beobachtung. Wir sind ja eigentlich keine Beobachter mehr. Es geht los. Der Ablauf verschlingt sich. Bring beide. Schnelles Gift, langsames Gift.
(Widder ab)
HARK: Mhmmomm… oh … Oh Hölle …
STIER: Ja. Angst ohne Zeitgefühl, nicht angenehm.
HARK: Aber … gerecht …
STIER: Ich weiß. Es wurde ausgelöst in dem Moment, in dem Baqil das schnelle Gift verlangt hat, nicht?
HARK: Ich hatte mir … ich hatte mir geschworen, wenn jemand stirbt hier drin … muss ich bestraft werden, sofort. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert … ich hatte nicht an Baqil gedacht. Ich dachte, Sven würde vielleicht aus Trotz … oder Eva, aus Überforderung …
STIER: Ich habe Eva schlafen geschickt. Nach dem Ablauf wacht sie auf. Er müsste demnächst durch sein.
HARK: Ich weiß gar nicht mehr, welche … wie ich das Szenario, das spezifische …
STIER: Sie waren alle düster. Alle deine Entwürfe für den Ablauf.
HARK: Sie waren realistisch.
STIER: Ich verstehe es immer noch nicht. Was der Versuchsaufbau soll. Wieso du dich dem Ablauf mit ihnen zusammen ausgeliefert hast.
HARK: Ich bin genauso schuldig wie sie. Der Ablauf hätte ein Loch ohne mich.
STIER: Ist mir zu abstrakt. Du hast mich als Chirurgen engagiert. Als Klempner. Ich bin dir dankbar, aber so hast du einen Metzger aus mir gemacht, schließlich einen Gefängniswärter, und ich möchte dafür doch konkretere Gründe hören als …
HARK: Hörst du das? Hörst du’s?
STIER: Was soll ich … da schreit einer.
HARK: Und hämmert.
STIER: Ja. Ich hör’s. An der Schleuse. Außen, an der Tür. Ist das Sven?
HARK: Es klingt gar nicht wie ein Mensch. Es klingt wie ein verletztes und verrücktes Tier.
STIER: Dann kann‘s Sven sein. Soll ich nachsehen?
HARK: Gern. Kannst du mich noch losmachen?
STIER: Ach, neue Regeln?
HARK: Ich denke, über Regeln sind wir raus. Hier sitzt ein Toter.
STIER: Stimmt. Hier. So. Jetzt bist du frei. Ich habe die Spritzen holen lassen. Ich will meinen Ausweg, wie versprochen. Ich habe genug gesehen.
HARK: Schau nach für mich, bitte. An der Tür.
(Stier ab)
(Widder)
HARK: Oh. Du bist … schon da. Nein, warte. Bleib hier. Nicht erschrecken. Ich bin … frei. Leg sie aufs Laufband. Die Giftröhrchen. Er hat drum gebeten. Der Stier. Mehr konnte ich ihm nicht zeigen. Ich nehme an, du denkst immer noch, ich will Leute quälen. Und dich am meisten, weil du nichts dazu sagen konntest, weil alle anderen sich wenigstens beschweren oder schreien konnten. Es wäre aber nicht gegangen ohne den Bann. So war der Ablauf. Die Neurochemie aus dem Depot ist an die Rechner … gekettet, und die Rechner haben die Instruktion: solange sein Herz noch schlägt und meins, ist der Ablauf nicht vorbei. So lange sollst du nicht sprechen. Ich weiß, dass du es am Anfang versucht hast. Deine Körperhaltung hat mir verraten, dass du damit gekämpft hast, mit der Blockade im Kopf, der Unterbrechung im Sprachzentrum. Es muss schlimm gewesen sein: Zuhören und nicht sprechen. Ich habe jetzt gezeigt und herausgekriegt, was zu zeigen und herauszukriegen war. Jetzt kannst du auch die Maske einfach …
(Sven, dann Stier)
SVEN: Keine mehr! Nicht noch, weil nein von den mehr aber Menschen. Nur alle aber, alle aus den Grenzen Wänden Gründen falsch und rein in noch von den mehr. Wir haben jetzt nur noch langsame nur immer mehr ganz langsame Leute! Ich hab alles gesehen! Du! Ich habe dich überall gesehen, und drin! Und innen!
HARK: Bleib da! Sven, bleib … komm nicht näher!
STIER: Sven! Lass ihn! Hör auf mit …
SVEN: Was denn du? Ihr habt doch nicht schon draußen, wart ich noch nicht draußen, schon dauernd nicht! Ich, na, ich? Du bist aber die, die alle nur du, ach was heißt hier Hark? Es gibt nur noch solche, du bist aber die! Ich habe alle und alles, alles gesehen und mich hat alles gesehn! Ich zeig’s dir, ich zeig dir noch das! Du Dreckschwein! Ich bin du Schuld! Ich! Warte nur! Alles … weil … weil nichts mehr Zeit hat … es gibt … es ist draußen, es ist … drinnen ist es … nur … ich schäme dich, du Pferd, jetzt flieg mit allen Beinen! So!
HARK: Was?
STIER: Jetzt. Halt ihn fest. Jetzt!
(Widder greift Sven)
HARK: Lass ihn nicht los. Er ist schwach. Er kann dir nichts tun.
SVEN: Es gibt aber gibt keine! Ich habe sogar Kinder gesehen, und die sind jetzt immer tot! Eine Straße rauf geht ihr, vor mir her, es ist bloß nichts! Die Leute sterben alle, genau wie weil wie wenn aber wo es regnet! Als ob das gar nichts wäre, so ist das immer! Ihr seid gelogen!
STIER: Hark! Wir müssen ihn ruhigstellen! Gibt’s was im Ablauf? Gibt es einen Befehl, irgendwas? Für die Rechner, die Depots?
HARK: Nimm die Spritze. Nimm das schnelle Gift.
STIER: Nein. Was? Nein! Ich brauche das selber!
SVEN: Ach was! Arschlöcher! Ihr Idioten, was habt ihr denn gemacht, es gibt kein schnell und kein langsam mehr da jetzt! Da draußen nicht gibt es da nur keine, es gibt keine mehr!
HARK: Was, keine mehr?
SVEN: Keine Sachen. Von den von allen Leuten. Es gibt … es gibt keine …
HARK: Nimm das. Nimm die Spritze. Er ist nicht zu retten.
STIER: Was, und dann muss ich das langsame Gift nachher nehmen? Nein, Danke!
HARK: Das langsame hat er schon abgekriegt, indem er draußen war. Das bringt es nicht mehr. Bei ihm nicht, vielleicht bei niemandem. Du hörst doch, was er sagt. Die Erlebnisrate …
STIER: Scheiß auf Erlebnisrate! Das sind nur deine Theorien. Wavelet, Framelet, Omelett!
HARK: Die offenbar stimmen. Gib ihm die Spritze jetzt, Mensch! Siehst du nicht, sie wird ihn gleich loslassen! Dann können wir ihn nur noch totschlagen.
STIER: Du hast mich angelogen. Wenn ich das mache, ihm die Spritze setze, gibt es keinen Ausweg mehr für mich.
HARK: Es gab nie einen.
(Stier verabreicht Sven die Spritze)
SVEN: Ihr wollt mir … wir sind … gar nicht … möglich …
(Sven stirbt)
HARK: Ich nehm’, warte, ich helf’ dir, ich nehm’ ihn.
STIER: Er ist … Es ist aus. Er ist tot.
HARK: Auf den Stuhl. Auf den Stuhl, auf den freien … wo er … ja …
STIER: Was für eine Sauerei. Was für ein …
HARK: Wir verdienen es nicht besser.
STIER: Aber sie. Doro verdient es besser.
WIDDER: Du … nicht … Ich kann. Es geht. Ich kann wieder sprechen.
HARK: Du brauchst die Maske nicht mehr, Doro.
WIDDER/BILD/DORO: Ich weiß.
(Blitze. Fehler. Hall)
STIER: Du hast uns reingelegt, Hark. Mich, sie. Wir hätten deinen Drohungen nicht nachgegeben, wenn wir gewusst hätten, dass uns das in eine Lage ohne Ausweg bringt.
HARK: Du musst nicht für sie sprechen. Sie kann das jetzt.
DORO: Er hat aber recht. Du hast mir die Sprache weggenommen, und du hast gesagt, wenn ich nicht mitmache bei deinem sogenannten … Ablauf …
HARK: Ich habe dir das alles erklärt. Euch beiden. Als du rausgefunden hattest, dass die Erlebnisratenstörung das Mittel ist, die gesamte Gesellschaft anzugreifen, hattest du diesen … Machtrausch. Du hast es in Köln ausprobiert, mit dem Ausstellungspublikum. Dann wolltest du alle bezahlen lassen, für deine Probleme. Stimmt schon, die Pfeifen sind schuld. Aber du hast es ihnen leicht gemacht, oder? Hast du Eva je gesagt, wenn sie ihren Shit nicht zusammenkriegt, wechselst du die Galerie? Hast du Sven je gesagt, wenn er dir nichts gibt, kriegt er nix mehr? Hast du Baqil je gesagt, wenn er nicht den Mut zu dir hat, bist du weg? Du hast uns was vorgefoltert, an dir selbst. Ich habe dich gezwungen, dich zu entscheiden: Entweder man benutzt auch wirklich alle Waffen, die man hat, in diesem Krieg, oder nicht.
DORO: Darauf bist du stolz, ja?
HARK: Nein. Ich bin, was ich immer war: Neugierig, was man alles machen kann.
STIER: Kürzer gesagt, er ist der Teufel.
DORO: Nein. Der Teufel ist mächtiger als die Menschen. Hark nicht.
HARK: Ich weiß, du bist wütend. Aber wir sind die letzten drei auf der Welt, die noch klar sind.
DORO: Du bist nicht klar. Und ich weiß nicht, ob ich klar bin.
STIER: Wenn’s schon keinen Ausweg mehr gibt, aber dass wir jetzt mit diesem … diesem Kerl hier auf derselben Erlebnisrate festsitzen, das ist unerträglich.
HARK: Du hattest die Vision, Doro, und du, mein Freund, hattest die technischen …
DORO: Vision, Quatsch. Halt ihn fest.
STIER: Sehr gern.
HARK: Das ist nicht dein Ernst. Was? Nein, bleib mir vom …
STIER: Er klingt wie Sven jetzt. Lustig.
DORO: Angst macht alle gleich jämmerlich, egal, in welcher Rate sie was mitkriegen. Immerhin, ein Ergebnis. So.
HARK: Das machst du nicht!
DORO: Den Arm. Drück den gerade. Ich seh sie. Ich seh die Vene. So.
STIER: Halt still. Es hat überhaupt keinen Sinn, sich zu wehren.
HARK: Keinen … Es hat … was soll denn … Aufhören, Auf! Aufhören.
DORO: Zappel nicht so.
HARK: Du bist verrückt geworden!
STIER: Ich dachte, du bist neugierig? Wir sind auch neugierig. Wir wollen wissen, was man mit dir machen kann.
(Hark bekommt die Spritze)
DORO: Du kannst ihn loslassen.
HARK: Ihr seid … völlig … das war einfach nur … destruktive … ihr … diese Idiotie …
STIER: Wo willst du denn hin? Hallo?
HARK: Ich … ich muss hier … mir ist übel, ich … ich muss hier raus … raus …
STIER: Wo willst du hin?
HARK: Egal … nur … egal …
(Hark ab)
DORO: Er hat seinen Nachruf gefunden. Ein einziges Wort: Egal.
STIER: Weißt du was? Ich glaube, ich geh‘ ihm nach. Das langsame Gift macht bei ihm chemisch, was ihr mit visuellen und anderen Signalen gemacht habt, nicht? Fragmentierung. Die Frames werden entkoppelt, entflochten. Auflösung. Und Hark, der ist der ideale Entdecker für das da draußen. Wenn ich ihm nachgehe, lerne ich was, vielleicht. Bisschen lernen, dann sterben. Das muss genügen.
DORO: Ich erinnere mich an dich. Das wollte ich dir die ganze Zeit sagen. Du warst zu Besuch bei ihm. Bei Hark. Ihr habt Versuche gemacht, nicht? Mit Tieren.
STIER: Mit Affen, ja. Ist mir jetzt peinlich. Die Begründung war, wir machen es mit Affen, damit wir es nicht mit Menschen machen.
DORO: Klingt nach Ausrede.
STIER: Allerdings.
(Umarmung)
DORO: Viel Glück.
STIER: Danke. Dir auch.
(Stier ab)
DORO: So. Ein Dreieck. Stier, ihr, ich. Was sagst du, Baqil? Nichts. Leider. Dass du tot bist, heißt, ich kann dich nicht um Entschuldigung bitten. Bleibt nur Eva. Hallo? Eva? Ich hätte einen fragen sollen, wie man dich weckt. Hark oder den Stier. Alleine krieg‘ ich nicht mal den Toten zum Kühlfach. Zu schwer. Ich geh‘ nochmal in die Beobachtung, was meinst du? Vielleicht finde ich raus, wie ich dir helfen kann.
(fast ab, dann:)
Das ist es nämlich, weißt du: Wenn man nicht mehr helfen kann, dann war’s das.
Warte mal eben.
© Dietmar Dath 2019