Theater der Zeit

„‚Die Möwe‘ hat mir den Abschied geschenkt“

Christopher Rüpings Zeit am Schauspielhaus Zürich

von Julie Paucker

Erschienen in: Arbeitsbuch 2024: Werk-Stück II – Die neue Regie-Generation (07/2024)

Assoziationen: Schweiz Christopher Rüping Schauspielhaus Zürich

Benjamin Lillie in „Die Möwe“ von Anton Tschechow
Benjamin Lillie in „Die Möwe“ von Anton TschechowFoto: Orpheas Emirzas

Irgendetwas wissen die – obwohl sie als moderne Bühnen-Menschen auch die Oberfläche lieben – über Abgründe. Darüber, dass da kein fester Grund ist unter ihren Füßen und unter diesen Brettern, die die Welt bedeuten. Sie wissen etwas über Einsamkeit, über das Verdammtsein zum Erfolg, über den Kampf um ein bisschen Rampenlicht. Gerade weil sie das Schnelle, das Lustige, den Pop und das Direkte ­virtuos beherrschen, wissen sie auch, was es kostet, den Ernst und das „echte Gefühl“ zu verweigern. Im Leben wie auf der Bühne.

Tschechow wusste es auch. In diesem Sinne war die Begegnung von Christopher Rüping, seinem Team und seinen Schauspieler:innen mit diesem Stück, das im Kern ein Metastück über Theater ist, nur eine Frage der Zeit. Sie scheint zwingend. Niemand verkörpert und führt das zeitgenössische Theater so hinreißend vor wie Maja Beckmann – das Fleisch gewordene, moderne Abbild der von Tschechow geschriebenen, exzentrischen Theaterdiva und Dichtermutter Arkadina. Gnadenlos zerquetscht von ihr und anderen ihrer Generation wird Kostja, auch das steht so geschrieben, Benjamin Lillie scheint dafür geboren. Und niemand morpht sich so übergangslos vom Bühnenkantengnom zur Märchenprinzessin, zur Influencerin und von dort wieder zurück wie Wiebke Mollenhauer. Die Spieler:innen (meistens) oben auf der Bühne, die Figuren, die...

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