Performances von Claudia Bosse sind eine Herausforderung. Als Zuschauer wird einem nichts geschenkt, nicht einmal eine Sitzgelegenheit: Ist man nach zwei Stunden des Herumstehens und -gehens in der Botschaft am Worringer Platz müde, kann man sich an eine Säule lehnen oder auf den Boden setzen. Die Trennung zwischen Publikum und den fünf Performern (später kommt ein Chor hinzu) soll fluid werden, das Publikum bewegt sich mit den Spielern im Raum: Die Botschaft ist ein weitläufiger ehemaliger Kinosaal in einer nach wie vor notorisch vernachlässigten, inzwischen von zahlreichen türkischen Restaurants besiedelten Ecke Düsseldorfs. (In Wien spielte das Stück später im Kasino am Kempelenpark.) Übersehen kann man die Performer allerdings nicht: Sie zeichnen sich durch (bis auf die Schuhe) komplette Nacktheit aus. Und der Einstieg in den Abend gleicht einer atavistischen Übung: Fünf nackte Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts stoßen zu einer rhythmischen, von Trommeln geprägten Musik animalische Schreie aus. Später ziehen sie sich in die Tiefe des Raums zurück, das Publikum folgt.
Auf dem Programm steht „Thyestes“, hier in der Version des Seneca aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, die sich ihrerseits auf griechische Vorlagen stützt; übersetzt von Durs Grünbein. Es geht um den üblichen Kreislauf der Rache: Thyestes hat seinen Bruder...