Auftritt
Maxim Gorki Theater Berlin: Durchmarsch der Kriege
„Schlachten“ 3. Teil der Kriegstrilogie mit Texten von Heiner Müller – Regie Oliver Frljić, Bühne Igor Pauška, Kostüme Katrin Wolfermann, Videodesign Stefan Bischoff
von Thomas Irmer
Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Heiner Müller Oliver Frljić Maxim Gorki Theater

Die Ansprache aus Heiner Müllers „Philoktet“-Prolog, mit der Vidina Popov den Abend einleitet, wirkt im Rückblick als ehrliche Ansage: „Was wir hier zeigen, hat keine Moral / Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen. / Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen.“
Natürlich entfernt sich niemand, und Mehmet Yilmaz überrascht bei seinem Auftritt mit Panzerrollschuhen an den Füßen, mit denen er zwischen einem Stapel grob gezimmerter Holzsärge und Haufen von Kinderpuppenleichen elegant hereinsegelt. Um mit angeklebtem Schnauzbart den Stalin-Monolog „Bruder Hitler“ aus „Germania 3“ vorzutragen, mit dem Müller auf die bis in die Gegenwart folgenreiche Korrespondenz zweier Diktaturen im Krieg zielte. Doch dann geht das mediale Bombardement im Theater los: CNN meldet Kriege in Jugoslawien und im Irak als Auftakt zu einem endlosen Strom von Nachrichten und Zahlen zusammen mit Fotos von kriegsverkrüppelten Gesichtern an den Seitenwänden. Die diskursive Ordnung – ob mit Müller-Texten oder ohne – ist so schnell weg, wie man bei der Auflistung aller Kriege der Weltgeschichte und ihrer Toten mit dem Lesen nicht hinterherkommt. Es gibt zwar noch eine einigermaßen nachvollziehbare Szene über einen zu bestrafenden Soldaten in der Sowjetarmee (aus der „Wolokolamsker Chaussee“) und im Schnelltempo runtergeratterte Verse zwischen Philoktet und Neoptolemos, die, sofern man das Stück kennt, der Kriegslogik des Odysseus zum Opfer fallen. Aber solche Szenen reichen Oliver Frljić für die von ihm beabsichtigte grelle Wirkung nicht aus. Eine Showmoderatorin fragt nach „Germany’s Next Top Opfer“ und listet die Kandidaten auf: Bosnien, Syrien, Jemen, Äthiopien, Ukraine und, sozusagen mit Sonderbetroffenheitsbonus, da ja kein Krieg mit deutscher Unterlassungsbeteiligung, das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Konkret werden später zwei rauchende Soldaten, die ihre Kippen in den Augen einer Babypuppe an der Rampe ausdrücken.
Zusammenhänge oder ernsthafte Fragen werden nie deutlich in diesem Durchmarsch der Kriegsanzeigen. Was man gemeinhin Nachrichtenmedien vorwirft, Verkürzung und ausschnitthafte Darstellung, wird hier zum theatralen, multimedialen Grundprinzip. Aber worauf soll das zielen? Allenfalls auf eine Reizermüdung – so war es, so ist es, und so unübersichtlich und grausam wird es wohl immer sein. Das ist viel zu wenig für Theater. Einmal ist die Formel: Peace-Zeichen plus Mercedes-Stern gleich NATO-Kompassrose zu sehen. Das steigert noch die Verkürzung, aber eben nicht die Provokation, um die es hier Frljić auch zu gehen scheint. Selbst ein lohnender Gedanke wie der, ob man nach dem US-Einmarsch im Irak amerikanische Sänger und Dirigenten von den Opernbühnen hätte ausladen sollen, hat als Frage nach Doppelstandards gefühlt eine Wirkungsdauer von nur wenigen Sekunden, noch dazu im seltsamen Audio-Kontrast zu „Imagine“ von John Lennon, der bekanntlich vom FBI überwacht wurde.
Die Inszenierung wirkt unstrukturiert und nur auf eine Abfolge von Effekten berechnet. Die werden am Ende noch einmal gesteigert mit den großformatigen Fotos von fast verhungerten Kindern, deren dunkle Augen übers Publikum fallen zu Sätzen aus Susan Sontags Essay „Das Leiden anderer betrachten“. Sontag überlegte, ob nicht doch Bilder das Wirkmächtigste für unsere Auffassungen seien. Wenn das stimmt, dann hat Frljić mit seinem Theater des Kriegs auch kapituliert, denn er kann darin zwar noch solche Bilder zeigen, aber nicht sinnvoll integrieren.
Erschienen am 28.3.2023