Zeigt her eure Spiegel
von Dirk Baecker
Erschienen in: Recherchen 99: Wozu Theater? (01/2013)
Frank Castorfs neue Inszenierung der Rosenkriege, also der Königsdramen von Shakespeare, führt mitten in das Herz der Kultur des Kapitalismus – wenn dieser Kapitalismus überhaupt eine Kultur hat und wenn diese Kultur ein Herz hat. An beidem zu zweifeln gibt es Anlass genug. Lange Zeit war man davon überzeugt, dass ‚Kultur‘ und ‚Kapitalismus‘ den Gegensatz schlechthin bilden. Dem Kapitalismus billigte man im 19. Jahrhundert allenfalls eine ‚Zivilisation‘ zu, mit allem, was dies an oberflächlicher Höflichkeit und strikter Kommerzialisierung (in den Augen der Deutschen) zu implizieren schien. ‚Kultur‘ war dagegen all das, was den Geist, die Seele und das Herz des Menschen vor dieser Zivilisation des Kapitalismus zu schützen in der Lage war, das Streichquartett, das gute Buch, das klassische Theater. In Deutschland vor allem setzte man so inständig auf ‚Kultur‘, dass die Alliierten im Ersten Weltkrieg befürchteten, es mit einer Geheimwaffe zu tun zu haben, und einen tiefliegenden eigenen Mangel ahnten, der sie den Krieg verlieren lassen könnte. So können Begriffe, vor allem unverstandene, um mit Friedrich Kittler zu reden, das Kriegsglück mitentscheiden.
Auf die Idee, dass der Kapitalismus selbst eine Kultur sein könnte, kam man erst in und nach dem Zweiten Weltkrieg – vielleicht auch deswegen, weil die...