Theater der Zeit

Auftritt

Theater Hof: Zwischentöne aushalten

„Thea von Tauperlitz oder Kein Denkmal für die Frau hinter „‚Metropolis‘“ von Kristoffer Keudel – Stückentwicklung, Regie, Ausstattung und Video Kristoffer Keudel

von Lina Wölfel

Assoziationen: Theaterkritiken Bayern Theater Hof

Alrun Herbing in „Thea von Tauperlitz“ am Theater Hof. Foto Harald Dietz
Alrun Herbing in „Thea von Tauperlitz“ am Theater HofFoto: Harald Dietz

Anzeige

Als das Publikum den Saal betritt, ist sie schon da. Schichtet Backstein auf Backstein. Sie trägt einen olivgrünen Arbeitsoverall, darunter ein weißes Baumwollkleid. Das Haar mit einem bunten Tuch zurückgebunden, an der Hand eine weiße Mullbinde. Sie schnauft, die Arbeit fällt ihr schwer. Im Hintergrund prangt das Gesicht jenes Frankenstein’schen Geschöpfes, das durch den Kinofilm „Metropolis“ zur Ikone geworden ist: der Maschinenmensch. Ihre eigene Schöpfung. Die sie in den nächsten eineinhalb Stunden fortlaufend mit der eigenen Geschichte konfrontieren wird. Ihr Gewissen, gegen die innere Verblendung der eigenen Biografie. Ein böser Spiegel: „Thea, bist du bereit?“ – „Ja, aber fangen wir doch bitte vorne an“.

Sie zählt zu den gleichzeitig umstrittensten und wichtigsten Frauen der deutschen Filmgeschichte: Thea von Harbou, geboren im oberfränkischen Tauperlitz in der Nähe von Hof. Sie war Theaterschauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin und Schriftstellerin. Sie schrieb die Drehbücher zu einigen der bekanntesten deutschen Stummfilme – so zum Beispiel zum Klassiker „Metropolis“ von Fritz Lang, mit dem sie auch einige Jahre verheiratet war. Zweimal führte sie auch selbst Regie. Neben Leni Riefenstahl zählt Thea von Harbou zu den prägenden, aber wegen ihrer völkisch-nationalen Haltung während der Weimarer Republik und ihrer Unterstützung des Nationalsozialismus auch kontroversesten Frauen des frühen deutschen Films. Wie also sich dieser Frau, ihrem Leben, ihrem Werk nähern?

Kristoffer Keudel gleichsam Autor, Regisseur, Ausstatter und Filmkünstler des Abends entscheidet sich für eine scheinbar „einfache“ aber gerade dadurch distinkte und differenzierte Dramaturgie: gemeinsam mit Thea von Harbou durchschreiten wir als Publikum zeitstrahlartig ihr Leben. Starten bei ihrer Geburt, den ersten Schuljahren bis hin zur ersten veröffentlichten Kurzgeschichte, wegen ihres Alters anonym. Ihr erster Roman erscheint, da ist sie 14 Jahre alt. Wir begleiten sie ans Düsseldorfer Schauspielhaus, nach Weimar, Aachen und München. Schon damals zeichnen sich in ihren Romanen nationalistische, kriegsverherrlichende und imperialistische Sujets ab: Frauen an der Heimatfront, Kriegsmotivation, Anti-Feminismus. Besonders produktiv ist sie vor und während der NS-Zeit. Mit ihrem damaligen Mann Fritz Lang verantwortet von Harbou die Drehbücher für „Der müde Tod“ (1921), „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922), „Die Nibelungen“ (1924), „Metropolis“ (1927) oder „Spione“ (1928). Direkt nach der Machtergreifung 1933 wurde sie Vorsitzende des offiziellen, gleichgeschalteten Verbandes deutscher Tonfilmautoren. Am 8. Januar 1940 beantragte sie die Aufnahme in die NSDAP und wurde zum 1. April desselben Jahres aufgenommen. In dieser Zeit bewegt sie sich zwischen Assimilation und dem Versuch sich kleine Schlupflöcher zu suchen. Angeblich tritt sie nur in die NSDAP ein, um sich für befreundete, vom NS-Regime verfolgte Künstler:innen einzusetzen – beispielsweise dem jüdischen Schauspieler Alfred Abel oder ihrem späteren dritten Ehemann, dem Inder Ayi Tendulkar.

Während Thea von Harbou und der Maschinenmensch ihre Biografie kritisch befragen packt Thea aus den auf der Bühne verstreuten Koffern immer mehr Habseligkeiten aus. Teppiche mit Ornament, Bücherstapel, Papierhaufen. Im Hintergrund werden Zitate von Filmkritiker:innen, Historiker:innen, Politikwissenschaftler:innen, Zeitgenöss:innen und NSDAP-Parteimitgliedern projiziert. Denn eines ist Thea von Harbou als Frau zu ihrer Zeit: ein Objekt der Zuschreibung. Kaiser Wilhelm der Zweite nennt sie eine Prophetin, laut der Historikerin Anna-Maria Siegmund trug sie entscheidend zum Bild der produktiven Nazi-Frau bei und wurde in rechten Kreisen gerne rezipiert, H.G. Wells urteilt über „Metropolis“ als „Klischee, Plattitüde, Chaos“, Joseph Goebbels befindet man könne mit diesem Film hervorragend die Todesstrafe rechtfertigen. Gleichzeitig schreibt Harbou an „Das erste Recht des Kindes“, ein Spielfilm über Schwangerschaftsabbrüche, Heinrich Himmler verbietet es.  Der Abend ist ein permanenter Dialog zwischen der Rezeption ihres Werkes, Zuschreibungen anderer und ihrer eigenen Sichtweise auf sich selbst. Die Figur Thea bleibt dadurch handlungsfähig, vielschichtig, ohne, dass ihr alles durchgeht.

Und Alrun Herbing spielt sie grandios: voller Leidenschaft. Figur und Person werden bei ihr lebendig, distinkt, facettenreich, mehrdimensional. Mal fiebert man mit der Frau mit, die sich im beginnenden 20. Jahrhundert eine eigenständige Karriere aufbaut, mal bekommt man Angst vor ihren kriegsverherrlichenden Ideen. Man bewundert sie, wie es ihr gelingt Goebbels um den Finger zu wickeln, hinterfragt sie kritisch, wenn sie erzählt, nur in die NSDAP eingetreten zu sein, um der indischen Community helfen zu können. Der Abend findet keine einfache Antwort. Thea von Harbou ist nicht einfach die geniale Drehbuchautorin, Wegbereiterin der Frauen im Film. Sie zu verurteilen wäre aber auch zu einfach. Damit steht sie geradezu sinnbildlich für diese Generation. Mitläufer:innentum, unreflektierte Überzeugungen – auch aus eigenen Traumtata. Reue? Vielleicht. Zumindest Ehrlichkeit. Thea ist offiziell entnazifiziert. Weil sie ihre Biografie, Kontakte, Protegés offengelegt hat.

Damit gelingt dem Theater Hof nicht nur ein Stück mit Lokalbezug. Thea von Tauperlitz ist mehr als ein Schmunzler, als von der Region gesprochen wird. Das Stück lehrt uns mit den komplexen Problemstellungen unserer Zeit umzugehen. Zunächst wäre da: Zuhören. Dann: Kritisch hinterfragen. Weitere Quellen einbeziehen. Kontextwissen. Bloß keine überstürzten Schlüsse ziehen. Und vor allem: in Reminiszenz und unter Einbezug allen Wissens, sich seine eigene Meinung zu bilden. Zwischentöne auszuhalten. Einfache Antworten münden allzu oft in Propaganda und Populismus. 

Erschienen am 30.10.2024

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Die „bunte Esse“, ein Wahrzeichen von Chemnitz
Alex Tatarsky in „The Future Is For/ Boating“ von Pat Oleszkos, kuratiert von ACOMPI für die Galerie David Peter Francis, Juni 2024, vor dem Lady Liberty Deli im St. George Terminal, Staten Island, New York