Magazin
Der charmante Ganove
Jérôme Savary hat das Stadttheater ein Leben lang aufgemischt – jetzt ist er 70-jährig gestorben
von Manfred Beilharz
Erschienen in: Theater der Zeit: Nüchterner Rausch – Der Schauspieler Steven Scharf (04/2013)
Jérôme Savary brach Mitte der 70er Jahre über das westdeutsche Stadttheater herein und wirkte als Befreiung und Provokation. Sein in Paris gegründeter Grand Magic Circus, eine freie Gruppe, huldigte den Tugenden der Revue, der Music-Hall, des Zirkus, der Artistik, des Cabarets, der Operette, der Show und brachte den Nachweis, dass gerade (auch) mit den Mitteln dieser gelegentlich von „seriösen“ Künstlern hochnäsig behandelten Genres vitales, sinnliches und berührendes Theater möglich ist.
Seine Schauspielertruppe war bunt zusammengewürfelt: ein Kostümschneider, Michel Dussarat (genannt Dudu), ein der Oper entlaufener argentinischer Sänger vom Teatro Colon (Guy Gallardo) und die dicke amerikanische Schauspielerin Gayle Gatterburg. Seine Hauptdarstellerin Mona hatte Savary sich aus einem Stripteaselokal geholt (und dann auch gleich geheiratet). Hauptkriterium für die Auswahl seines Ensembles: Ja nicht langweilig! Akrobatisches, musikalisches Können und Körpereinsatz über jede Schamgrenze hinweg waren selbstverständliche Voraussetzung.
Jérôme Savary hatte vor (was seit Nestroy schon Horváth oder Brecht mit dem „Puntila“ getan hatten), das verachtete Genre „Volkstheater“ wieder zum Leben zu erwecken. Die kleinen Leute, die Périchole in der gleichnamigen Offenbach-Operette, die Pariser Tip-Tap-Boys, die sich unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg dem Jazztanz und dem unpolitischen Leben widmeten und deshalb mit der Gestapo in Konflikt kamen, der deutsche Gefreite und der...