2. Gargantua und Pantagruel
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Wie verhält sich Quevedo nun zu Rabelais? Schließlich sind wiederkehrende Bilder von zerstückelten Körpern und isolierten Partialobjekten sowie drastische satirische Umkehrungen nicht die einzigen Merkmale, die dessen Erzählungen vom Riesen Gargantua und seinem Sohn Pantagruel mit Quevedos Träumen teilen. Ähnlich wie die »Sueños« ist auch das fünfteilige Romanwerk des französischen Renaissancedichters geprägt von ellenlangen Auflistungen, die unvermittelt in die Episoden einbrechen. Manche Kapitel werden sogar ausschließlich von solchen Listen gefüllt. Und doch ist es entscheidend, die zerfetzten Körper und Körpermassen, die Quevedos Barock schildert, nicht mit Rabelais’ Beschwörung des »grotesken Leibes« zu verwechseln – so der berühmte Begriff, den Michail Bachtin für dessen spezifisches Leibmodell gefunden und als Kristallisationspunkt der »Karnevalskultur« von Mittelalter und Renaissance beschrieben hat. Denn ungeachtet aller Probleme von Kontinuitäten und Diskontinuitäten liegen zwischen Rabelais’ »Gargantua und Pantagruel« und Quevedos »Sueños« jene entscheidenden 80 Jahre, in denen sich in Frankreich wie in Spanien die fundamentale Verschiebung vom Analogiedenken zur Repräsentation und damit zu dem vollzieht, was man die historische Barockepoche nennen kann. Darum lassen sich, wie Teuber umfassend darstellt, wesentliche Merkmale dessen, was Bachtin mit den Attributen »karnevalesk« oder »grotesk« zu fassen versucht, unter der Perspektive Foucaults auch als integraler Bestandteil der Episteme der Ähnlichkeiten entziffern, wenn...