Theater der Zeit

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Auftritt

Staatstheater Stuttgart: Einsame Menschen in den Datennetzen

„KI essen Seele auf (ORPHEAI)“ von Thomas Köck (UA) – Regie, Konzept, Bühne und Kostüme Mateja Meded, Komposition Volkan T error, Video Robert Seidel

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Dossier: Uraufführungen Thomas Köck Mateja Meded Schauspiel Stuttgart

Willkommen im datenstrom, willkommen auf euren fitness-trackern, banking-apps, euren kontoständen, euren „privaten“ interaktionen: „KI essen seele auf (ORPHEAI)“ von Thomas Köck, inszeniert von Mateja Meded am Schauspiel Stuttgart.
Willkommen im datenstrom, willkommen auf euren fitness-trackern, banking-apps, euren kontoständen, euren „privaten“ interaktionen: „KI essen seele auf (ORPHEAI)“ von Thomas Köck, inszeniert von Mateja Meded am Schauspiel Stuttgart.Foto: Björn Klein

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Die Bühne flimmert. Neuronale Netze in wilden Farben fluten den Bildschirm. Drei Schauspielerinnen tanzen sich in einen Datenrausch. In Thomas Köcks „KI essen Seele auf (ORPHEAI)“ peitscht der Datenstrom die Dramaturgie voran. In futuristisch-metallischen Kostümen rocken Therese Dörr, Celina Rongen und Silvia Schwinger die Bühne. Auf den ersten Blick wirken sie wie Avatare aus einem Computerspiel. Doch in Mateja Mededs berauschender Inszenierung im Kammertheater des Stuttgarter Staatsschauspiels sind sie einfach Menschen. Sie zeigen, wie die Künstliche Intelligenz die Identität der Menschen auslöscht.

Für die 36-jährige Mateja Meded, die an der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg Schauspiel studiert und seit Jahren am Gorki-Theater in Berlin auf der Bühne steht, sind die Möglichkeiten, die KI dem Theater bietet, unerschöpflich. Und doch steht die Schauspielkunst im Vordergrund. Wie sie in Köcks Sprechchören den Fokus auf die Menschen und auf ihre sterbenden Gefühle lenkt, ist virtuos.

In seinem Stück der Stunde lenkt der österreichische Dramatiker, der in Berlin lebt, den Blick auf den politischen Kontext: „das hier ist es nicht/das lied vom ende der demokratie/zwischen den schaltkreisen/einer vollautomatisierten Rakete angeschnallt/an eine vollautomatisierte drohne.“ Anders als in vielen seiner früheren Stücke steht der politische Diskurs in „KI essen Seele auf (ORPHEAI)“ nicht im Fokus. Der Titel ist angelehnt an Rainer Werner Fassbinders berührenden Film „Angst essen Seele auf“ über die Liebe zwischen einer deutschen Reinigungskraft und einem marokkanischen Gastarbeiter. Das verknüpft Köck mit Orpheus, dem begnadeten Sänger und Musiker der Antike. Volkan T errors druckvolle Arrangements und Kompositionen dröhnen die Akteurinnen wie auch das Publikum zu. Der Abend beginnt mit der Techno-Hymne „God Is A DJ“ von Faithless.

Köcks Dramaturgie orientiert sich eher an einem Konzert als an der geschlossenen Form. Mit dreifacher Frauen-Power reißen die Spielerinnen das Publikum in ihren Bewusstseinsstrom hinein. Das verwirrte Weltbild, das die Künstliche Intelligenz vermittelt, gräbt sich in die Köpfe. Wie seelenvernichtend dieser Prozess ist, zeigt die Geschichte einer Familie, die ihr totes Kind mit den Möglichkeiten der KI ins Leben zurückholen will. Krampfhaft greifen die Spielerinnen nach den Bildern, die aufploppen – und im nächsten Augenblick wieder verschwunden sind. Der trügerische Schein vergrößert den Schmerz. Was bleibt, sind entfremdete, einsame Menschen.

Kraftvoll und diszipliniert sprechen die drei Schauspielerinnen die Verse, in denen Köck die Macht der Künstlichen Intelligenz verhandelt. Mit ihrer Sprachkunst erfassen Therese Dörr, Celina Rongen und Silvia Schwinger die Poesie, die Köcks Sprache innewohnt. Sie schreien, flüstern, verheddern sich in Gebrauchsanweisungen und Instagram-Posts. Immer wieder blicken die drei Frauen kritisch auf die Realitäten, die Chatbots und Cyberwelten suggerieren.

Köcks feiner Humor, der in den schweren Textpassagen nicht immer ganz leicht zu entdecken ist, verführt die drei zu Höhenflügen. Beim KI-gesteuerten Tinder-Dating fliegen die Fake-Profile nur so über den Bildschirm. Kaum ist der eine Liebeskandidat weggeklickt, taucht schon die nächste Traumfrau auf. Dass sich der Autor als Beachboy, Naturromantiker und Mauerblümchen ablichten ließ, sorgte im Publikum für Lacher. Das falsche Spiel mit der Liebe zerstört in Köcks Lesart Identitäten. Klug entlarvt sein Text da den schrecklichen Schein des Online-Datings.

Nicht alle Themen bringt Regisseurin Meded so überzeugend auf die Bühne. Das autonome Fahrzeug lässt sich zwar bis zum Anschlag mit Daten füttern, endet aber doch im Crash. Da schießen die Spielerinnen mit übertriebenem Körpertheater und wirrem Geplapper übers Ziel hinaus.  Das gilt auch für die schrille Schlussszene, wenn der Datenklau aus dem Netz die Macht übernommen hat: „your data. My power“.

Thomas Köcks „KI essen Seele auf (ORPHEAI)“ ist ein Text, der unter die Haut geht. Seine Sprache, gipfelnd im chorischen Sprechen, geht unter die Haut. Die Worte halten der Gesellschaft einen Spiegel vor, die gedankenlos ihr ganzes Leben preisgibt. Da mahnt der Autor gerade die junge Generation, die Macht nicht aus der Hand zu geben – und KI als das zu betrachten, was sie ist: ein technisches Hilfsmittel. Dass Mateja Meded den Text mit ihrer rasanten, bildgewaltigen Theatersprache dem jungen Publikum erschließt, das selbst im KI-Fieber gefangen ist, macht die Stuttgarter Uraufführung so besonders.

Erschienen am 5.12.2025

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