Auftritt
Theater Magdeburg: Alptraummaschine
„Das Spiel ist aus // Die Hamletmaschine“ von und nach Heiner Müller– Regie Clara Weyde, Bühne Louisa Robin, Kostüm Clemens Leander, Musik Thomas Leboeg
von Lara Wenzel
Assoziationen: Sachsen-Anhalt Theaterkritiken Theater Magdeburg
Zu Beginn wird das Bühnenbild abgerissen. „Das Spiel ist aus“, die angesetzte Inszenierung nach dem Stück von Jean Paul Sartre ist abgesetzt. Zum Einlass aufgeklebte Silhouetten werden entfernt, denn heute wird Heiner Müller gespielt. Ja, „der Heiner Müller“, versichert Schauspieler Philipp Kronenberg mehrfach dem Publikum und setzt zum ersten Bild der „Hamletmaschine“ an. In Reaktion auf die rechten und antidemokratischen Wahlergebnisse, dessen vorläufiger Höhepunkt der wiederholte Amtsantritt von Trump markiert, entschieden sich Regisseurin Clara Weyde und Kostümbildner Clemens Leander aus dem Leitungsteam, dass es Zeit sei, Müller auf den Spielplan zu setzen. In zwei Stunden umkreisen sie den in der DDR entstandenen Text über Verfall, Verwesung und Verzweiflung am System des Sozialismus.
Die totale Vernichtung der Welt, die am Ende der „Hamletmaschine“ steht, ereignet sich heute Abend in einem verlassenen Gasthaus. Holzgetäfelt und geziert mit Jagdtrophäen findet man diese Schänke, nach einem Entwurf von Louisa Robin, wohl in jeder größeren Ortschaft um Magdeburg. Stammtische hält hier niemand mehr ab. Den staubigen Bühnenraum bevölkern nur noch bleiche Gestalten, die zu gespenstischer Musik ihre Totentänze abhalten. Obwohl das Sujet düsterer nicht sein könnte, sieht man den zehn Schauspieler:innen, die Hamlet und Ophelia sprechen, die Ernsthaftigkeit nicht an: Alberne Halskrausen, groteske Gesten und blau-grüne Schminke verwandeln sie in Untergangs-Clowns, denen man das eigene Elend fast nicht abnimmt.
Nur vereinzelt wirkt Müllers Text durch die eher assoziativ-fragmentarische Inszenierung hindurch in die Gegenwart. So erscheint der Abschnitt „Pest in Buda Schlacht um Grönland“ angesichts der Pläne der USA, die dänische Insel zu für sich zu reklamieren, in neuem Licht. Aber auch die folgende Beschreibung des Budapester Aufstands von 1956, in der der Autor zerrissen ist zwischen Solidarität für die antistalinistische Bewegung und der Idee des sozialistischen Staates, klingt nach. Heute spannen sich die Fronten allerdings zwischen einer antielitären, reaktionären Bewegung und einer konservativen Demokratie auf, die beide keine progressiven Utopien in sich tragen.
In Müllers Bild des glücklosen Engels, das auf der Bühne rezitiert wird, türmt sich von hinten das Geröll der Vergangenheit, von vorn staut sich die Zukunft. Die Flügel des Engels sind begraben unter der unverarbeiteten Geschichte und der gegenwärtigen Perspektivlosigkeit. Auch der berühmte Appell von Marx, „Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ sei, kann nicht mehr vervollständigt werden. Vorher flieht Schauspieler Rainer Frank vor den Erwartungsvollen, die nach einer Auflösung der Misere lechzen. Um existentialistischen Panikattacken vorzubeugen, leitet eine Ophelia-Darstellerin das Publikum zu Atemübungen an: Zukunft wird ein-, Vergangenheit ausgeatmet. Trotz Trostlosigkeit bleibt die Uhr nicht stehen.
Komische, clowneske Einlagen sollen die absurde Weltlage kommentieren und Müllers Melancholie auflockern. Das Ensemble spielt diese Einlagen voller kreativem Elan, jedoch wirken sie oft zu beliebig und assoziativ. Überrumpelnde Komik stellt sich jedoch ein, wenn Luise Hart beginnt, abermals den „Ich war Hamlet“-Monolog zusprechen, dafür aber ihre Vulvalippen nutzt. Die rächende Ophelia, die nicht mehr als schöne Leiche auf der Bühne liegt, sondern selbst die Welt zertrümmern will, wird zur Projektionsfläche des männlichen Hasses. Ihr Verhältnis zum albernen Hamlet lässt an die Überschrift denken, die Rebecca Shaw ihrem Kommentar im Guardian kürzlich gab: „I knew one day I’d have to watch powerful men burn the world down – I just didn’t expect them to be such losers.“ [„Ich wusste, dass ich eines Tages mächtigen Männern dabei zusehen würde, wie sie die Welt niederbrennen – Ich hätte nur nicht erwartet, dass sie solche Loser sind.“] So wie Shaw die Peinlichkeit von den Tech-Milliardären Elon Musk und Mark Zuckerberg an der Seite von Trump kommentiert, wendet sich Ophelia an die albernen Hamlets. Aber auch ihr Versuch sie und ihr Unglück niederzubrennen, scheitert. Die nackte Ophelia hat kein Feuer einstecken und auch die Streichhölzer aus dem Publikum brechen nacheinander ab. Dann muss es irgendwie weitergehen. Die Leichen auf der Bühne beginnen leise wieder zu atmen.
Erschienen am 28.1.2025