Ein Lidschlag der Gräfin
oder: Was hat das postdramatische Theater mit Opernregie zu tun?
von Stephan Mösch
Erschienen in: Recherchen 113: Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität (06/2014)
Vorbemerkungen
Im Spannungsfeld von Hermeneutik und Performativität, das das Generalthema des vorliegenden Bandes bildet, ist das sogenannte Regietheater längst zum historischen Gegenstand geworden.1 Weil der Begriff ohnehin eine Schimäre ist und die Sache, die er bezeichnen soll, alles andere als klar umgrenzt, schien es sinnvoll, im Rahmen des von mir verantworteten Moduls des Grazer Projekts „Zwischen Hermeneutik und Performativität“ (Leitung: Barbara Beyer) von den Rändern her vorzugehen. Diese Ränder sollten durch zwei zentrale Mozart-Inszenierungen der Salzburger Festspiele markiert werden, die auf DVD dokumentiert sind2: zwei Inszenierungen, zwischen denen Welten liegen – und vielleicht auch, chronologisch gedacht, das, was man Regietheater nennt. Le nozze di Figaro, im Sommer 1966 von Günther Rennert und Karl Böhm verantwortet, sollte bei diesem Vorgehen eine Aufführungsästhetik verdeutlichen, von der sich viele Regisseure schon wenige Jahre später distanzierten.3 Figaro als fremdes, möglicherweise gar nicht mehr sprachfähiges, fast ein halbes Jahrhundert altes Dokument: Viele Entwicklungsschübe im Musiktheater sind es, die heutige, junge Regisseure davon trennen. So jedenfalls die Annahme. Diesem „Vorher“ war als Entgegnung das „Danach“ durch eine Aufführung zugedacht, die Christoph Marthaler und Sylvain Cambreling 2001 aus dem Geist des postdramatischen Theaters4 für Salzburg erarbeiteten (und die fünf Jahre später...