Theater der Zeit

II. Kostümbildnerinnen und Kostümbildner im Gespräch

Materie verwandeln

Ein Gespräch mit Lea Søvsø

von Lea Søvsø

Erschienen in: Lektionen 6: Kostümbild (06/2016)

Assoziationen: Kostüm und Bühne UNI.T (Theatersaal, Universität der Künste Berlin)

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Du bist 1982 in Dänemark geboren und hast dort auch eine Schneiderlehre gemacht. Hattest du dabei schon die Idee, Kostümbild machen zu wollen?

Ich habe immer gerne mit Kleidung experimentiert und schon als Kind gebastelt, z. B. Drahtkostüme, Rokoko- oder Prinzessinnenkleidung. Und ich hatte viel mit Theater zu tun und habe Musik gemacht. In Dänemark gibt es diese zwei Ausbildungssysteme: Man kann zwischen einer Sekundarschule und einer Berufsausbildung mit vollzeitschulischem Programm wählen. Ich ging mit 14 Jahren in ein Internat. Dort konnte man Schwerpunkte wählen, und ich entschied mich für Theater und Musik. Als ich mit 16 meine Berufsausbildung zur Schneiderin anfing, gewährte mir die Schule viel Freiraum und ich durfte selber meine Ausbildungsorte bestimmen. Ich war dann als Lehrling an drei oder vier Theatern auf den Färöer Inseln, in der Schweiz und in Schweden.

Das heißt, du hast deine Ausbildung in den Kostümabteilungen der Theater gemacht?

Genau. Das war eine gute Lehre, allerdings bin ich keine besonders gute Schneiderin geworden, dafür bin ich viel zu unruhig. An meinem letzten Lehrplatz, einem sehr kleinen Tanztheater, habe ich bereits angefangen, Kostüme zu machen. Nach der Lehre habe ich beschlossen, dass ich gar nicht nähen will. Danach bin ich in eine Art Volkshochschule für Kunst gegangen, in der man auch wohnte, eine sehr intensive Zeit. Der Direktor dieser Schule war eine meiner wichtigsten Begegnungen; er hat mich als Lehrer und später auch als Freund sehr geprägt. Ich wusste danach, dass es in Richtung Kunsthochschule gehen soll. Ich bin dann 2004 zunächst nach Deutschland gegangen und habe ein Praktikum bei Bernd Skodzig gemacht.

Und wie kam es zu dem Praktikum?

Ich habe auf dem Flohmarkt eine Schreibmaschine gekauft und eine Bewerbung in meinem holprigen Deutsch geschrieben. Ich habe ein Foto im Automaten gemacht und die Bewerbung an die Volksbühne, Schaubühne und andere Theater geschickt. Die Leiterin der Kostümabteilung der Schaubühne brauchte zwar niemanden, dachte aber, dass Bernd so eine Schreibmaschinenbewerberin lustig finden könnte. Sie hat es an ihn weitergeschickt und Bernd meinte, ich solle vorbeikommen. In der ersten Woche hat er mir ein Meditationskissen gegeben, mich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt, mir Tee hingestellt, Musik angemacht und ich musste eine Woche lang Falten nähen. Er macht immer große Anproben und drapiert am Körper. Das hat viel Spaß gemacht, doch ich habe auch gemerkt, dass es wirklich harte Arbeit bedeutet. Ich war sechs Monate durchgehend bei ihm und danach phasenweise, als er in Bayreuth gearbeitet hat. Das war das erste Mal, dass ich erlebt habe, dass eine intensive Zusammenarbeit am Theater vorbeigeht und man danach wieder komplett auf sich allein gestellt ist. Das ist ein Grunderlebnis, das man verkraften können muss. Ich glaube, als Kostümbildnerin noch eher als bei vielen anderen Berufen, weil man sich auch psychisch aufreibt. Bei meiner Art zu arbeiten merke ich, dass ich zu einer Bindungsperson werde. Ich bringe mich selber sehr stark ein und kann auch das Körperliche einbringen. Ich habe mich sehr mit dieser Gruppe verbunden gefühlt, wir waren auch nur fünf Leute in der Werkstatt. Wir hatten immer lange Anproben und es war ein Einstieg in das Schaffen, das Kreative, das hat mich sehr geprägt.

Ich erinnere mich, dass es eine wunderbare Begegnung zwischen uns gab. Wir hatten eine Aufführung und hinter mir stand Bernd Skodzig, der sagte, dass er mir eine Sonnenblume vorstellen möchte und dass die Sonnenblume bei mir studieren müsse. Hat Bernd dich ermutigt, Kostümbild zu studieren?

Nein, er wusste, dass ich in viele Richtungen gehen will. Bernd hat ein sehr exaktes Gefühl für Kostümbild und wusste, dass ich nicht immer im Kostümbuch nachschlage, um präzise das Jahrhundert zu bestimmen. Dieser akademische Blick, die Präzision, etwas historisch auf den Punkt zu bringen, das ist nichts für mich. Schon in der Kunstschule in Dänemark bin ich in eine Performance-Richtung gegangen, auch in Verbindung mit moderner Musik. Ich habe gemerkt, dass dieses Musikalisch-Performative zu mir gehört. Das kann ich nicht ausschalten, auch beim Theater nicht, deswegen kann ich auch nicht mit jedem Regisseur arbeiten. Meine Arbeitsweise muss denjenigen, mit dem ich arbeite, inspirieren und neugierig machen, sonst nimmt sie viel zu viel Raum ein und lenkt vom gemeinsamen Schaffen ab.

Was war denn der Grund für die Bewerbung an der UdK?

Es waren die Menschen, die mir in dem Moment begegnet sind. Wenn es jemand anderes als Florence gewesen wär, dem mich Bernd vorgestellt hätte, wäre ich woanders gelandet. Wäre es zum Beispiel einer von den Kunstprofessoren gewesen, hätte ich mich dort beworben. Ich habe nicht geplant, dass ich genau dort hingehe. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar.

Ein Studium war aber geplant?

Ja, das wusste ich, und ich wusste, dass es sehr schwierig für mich sein würde, dort reinzukommen. Ich glaube, dass es nur durch diese Begegnung geklappt hat. Ich hatte nur eine Lehre und kein Abitur. Die Kunststudien in Dänemark sind sehr exklusiv, deswegen war es ein großes Geschenk, dass man mich dazu gedrängt hatte. Ich habe auch alle Sachen aus Dänemark geholt, die ich dort gemacht habe. Wir haben alles in Bernds Wohnzimmer ausgebreitet und eine Mappe zusammengestellt. Ich habe eine Woche daran gearbeitet und es war sehr wichtig für mich. Bei der Aufnahmeprüfung habe ich gemerkt, dass ich diese Schritte machen musste.

Diese Mappe ist für viele, die sich bewerben, eine große Hürde. Ich würde gerne wissen, was drin war.

Ich habe die Mappe aus Karton gemacht, wie so eine Art Kasten mit einzelnen Blättern. Es gab ein Foto von einem Latexkostüm, für das ich meinen Körper abgegossen hatte. Meine Inspiration war Nike von Samothrake. Es war wie eine Installation, sie stand auf einem Fußteil und konnte sich drehen. Eine ganz wichtige Arbeit für mich war eine Partitur, eine Interpretation von John Cage, Variations I. Das war schon eine Arbeit mit der Stimme, was ich später weiter ausgebildet habe und immer noch mache. Es war für mich ein Anfang, um Musik auf eine haptische und körperliche Weise zu verstehen. Als Kind hatte ich einen großen Krach mit einer Lehrerin, die mit mir Gesangsunterricht gemacht hat. Es war sehr akademisch, immer nach Noten. Ich war total unglücklich und konnte lange nicht singen. Erst die Kunstschule war für mich ein Befreiungsschlag. Das war jedenfalls als Beschreibung in der Mappe, ich bin mir nicht mehr sicher, ob auch eine Aufnahme dabei war. 

Ich kann mich noch genau daran erinnern, was du jetzt beschreibst, und das darf ich dir jetzt verraten, es war für uns ein Geschenk. Das war genau das, was Bernd in dieser Begegnung auch vermittelt hat, dass du eine Sonnenblume, ein waches, offenes, fröhliches, aufgewecktes Geschöpf bist und genau das war in der Mappe. Wir lieben es auch, wenn so Verschiedenes in einer Mappe zusammenkommt und sich damit auch die Persönlichkeit ausdrückt. Das war sehr überzeugend. Wir waren sofort alle Fans und nicht nur, weil Bernd dich empfohlen hatte, sondern weil da etwas in der Kiste war, woraus wir schlossen, dass wir so eine Person in der Klasse haben wollen. Wir haben uns auf die Zusammenarbeit gefreut. Wir spürten schon, dass es sehr experimentell werden und sich daraus nicht die klassische Kostümbildnerlaufbahn entwickeln würde, aber wir waren neugierig darauf, wie du arbeitest, was dich interessiert, wie du dich ausprobierst, wollten dir diesen Raum geben und das hat sich während des Studiums auch so entwickelt. Das kannst du vielleicht selbst nochmal beschreiben.

Die ersten zwei Jahre des Studiums waren großartig. Im Kern waren wir vier Mädels, die sich im letzten Semester vor dem Vordiplom als Gruppe gefunden haben. Diese Frauen begleiten mich noch immer – Yassu Yabara, die dann zur Bühne wechselte und jetzt Bühnenbildnerin ist, Vivien Waneck, die Kostüm macht, und Anna Leidenberger. Wir haben immer verfolgt, was die anderen machen, auch als wir uns aufgesplittet haben. Das sind die Leute, denen ich meine Arbeit zeige und mit denen ich rede, wenn irgendetwas schwierig ist und ich einen Blick von außen brauche.

Was habt ihr gelernt?

Im ersten Semester haben wir bei Herta Müller die Farbenlehre von Josef Albers sehr präzise und lange studiert, die prägt mich immer noch intuitiv und ich kann immer darauf zurückgreifen. Wenn man das im Rückblick sieht, war das ein Uniprojekt, wo wir acht Stunden lang nur eine Farbe gemischt haben. Das war ein Geschenk. Wir hatten auch Zeichnen bei Herta, sehr akademisch, das war wirklich eine Qual für mich. Ich beherrschte diese Art von Sehen nicht, bei dem man das Dreidimensionale ins Zweidimensionale verwandeln muss. Diese Abstraktion war für mich ein Kampf. Am Ende habe ich nur noch lebensgroße Selbstporträts gemacht. Das Betrachten des eigenen Körpers, der die Hand auf dem Papier führt, war für mich sehr hilfreich, als ob die Hand und das Auge darüber verbunden wären.

Es liegt natürlich auch an der Einstellung des Studierenden; die Offenheit und die Bereitschaft, sich durch etwas durchzukämpfen. Du warst immer sehr freiheitsliebend.

Die Menschen, die mir im Gedächtnis bleiben, sind diejenigen, die mir etwas vermitteln wollen. Ich glaube, ich hatte Glück. Es spielt keine Rolle, ob es im Studium passiert oder woanders im Leben. Julia Burdes Unterricht in Kostümgeschichte war sehr herausfordernd für mich, aber öffnete mir eine sehr wichtige Lesart von Kultur- und Sozialgeschichte. Ich habe es aufgenommen, um es später noch mal zu hören. Wenn die Vermittlung stimmt, kann ich das auch nacharbeiten. Doch zum Teil habe ich Blockaden, Sachen, wogegen ich mich wehre. Da kann ich stur werden und mir selbst im Weg stehen. Ich glaube, diese Grenzen gehören auch zum Studium. Bei mir kam noch hinzu, dass ich immer wieder Komplexe hatte, weil ich kein Abitur habe. Rein bildungsmäßig hatte ich immer das Gefühl, dass da eine Lücke ist und ich nicht auf den Stand der anderen komme. Gerade bei Texten, Analysen, Dramaturgie habe ich es gemerkt. Ich arbeite immer intuitiv, körperlich und sinnlich. Meine Wahrnehmungen stehen viel stärker im Vordergrund als mein Intellekt. Vielleicht habe ich auch deswegen nach meinem Grundstudium ein paralleles Studium in der bildenden Kunst angefangen. Die Arbeit mit meiner Professorin Hito Steyerl bestand größtenteils aus Diskussionen in der Klasse. Jede Woche kam ein Gast oder wir Studenten haben ein kulturhistorisches, philosophisches oder sozialpolitisches Thema vorbereitet oder unsere Arbeiten (Videos, Fotos, Performance) vorgestellt. Dieses sachliche und konkrete Beschreiben der eigenen Arbeit und die kritische Auseinandersetzung mit schwer greifbaren Themen waren ein sehr wichtige Lehre für mich.

Du warst während deines Studiums beteiligt an einem Projekt am UNI.T, das René Pollesch mit den Schauspielstudenten gemacht hat, es hieß: Seid hingerissen von euren tragischen Verhältnissen. 

Genau, meine erste Arbeit auf der Bühne war für René Pollesch. Ich habe zuerst den Text bekommen, es war der von Diktatorengattinnen an der Volksbühne, dann habe ich die Sekundärliteratur u. a. über die Frage der Darstellung und das Ende des Ichs gelesen. Die Sekundärtexte spielen bei Pollesch immer eine große Rolle. Ich habe versucht, mich in das Thema einzuarbeiten und das dann ins Kostüm zu übersetzen. Ich habe mich gefragt, wie ich das Ich abschaffe mittels eines Kostüms. Ich dachte wirklich, ich müsste das irgendwie hinbekommen. Ich habe wieder Selbstversuche gemacht, habe mir Sachen meiner Kommilitonen angezogen und sogar ein Video gedreht. Dann habe ich das alles vor ihm ausgebreitet. Pollesch macht die Konzeptionsbesprechungen für Kostüm immer mit allen Darstellern. Ich hatte einen Entwurf gemacht, wo alle Männer und Frauen Strumpfhosen und Hemden tragen sollten. Er meinte, dass die Schauspieler aussehen würden, als fühlten sie sich nicht wohl, und dass man seiner Meinung nach nicht in Strumpfhosen auf die Bühne gehen könne. Für mich war das ziemlich brutal, anders als seine Arbeit mit den Schauspielern. Er hat den Darstellern mit jedem Satz Raum gegeben, diesen zu verstehen, aber dieser Raum war bei mir nicht vorhanden. Dennoch empfinde ich diese Proben als eine Schlüsselerfahrung für mich, weil ich seine Arbeit mit den Schauspielern großartig fand. Ich habe gemerkt, dass er auch so ein Vermittler ist. Er ist ein Mensch, mit dem man sehr gerne diskutiert, weil er dein Denken herausfordert und so der Text spielerisch und lebendig auf der Bühne wird.

Hat es für den weiteren Probenprozess bewirkt, dass du methodisch anders an die Sache rangegangen bist?

Ja, am Ende war es auch für mich sehr spielerisch. Ich glaube, ich bin viel eher auf die einzelnen Darsteller eingegangen. Ich habe mir jeden angeguckt und darauf geachtet, dass er sich wohlfühlt. Ich habe gemerkt, dass ich so viele Proben wie möglich betreuen muss, um auf die gemeinsame Arbeit eingehen zu können. Das zu erkennen war für mich das Wichtigste, auch wichtiger als das Kostüm am Ende. Da ist es egal, wo oder mit wem ich arbeite, ich bin immer viel da. Bei Pollesch entstand der Frust dadurch, dass es ihm egal war, ob ich da war oder nicht. Das finde ich im Nachhinein sehr schwierig für eine Unterrichtssituation und sehr schade für eine kollektive Arbeit wie das Theater. Ich habe gesehen, dass jeder Mitspracherecht hat. Es ist politisch, wenn der Darsteller sagt, dass er sich nicht ausziehen will, nur weil es ihm gesagt wird. Wenn man so eine Methode anwendet, muss man das überall machen. Ich habe mal eine Reihe über Heiner Müller in der Akademie der Künste gehört. Da saß eine Frau, die an allen Theatern in allen Sparten nachgefragt hat, an wen sich die Leute erinnern können, und alle Werkstätten der Berliner Theater haben einen Namen genannt: Heiner Müller. Er hat alle wahrgenommen. Die Arbeit als Kostümbildner ist dann sinnvoll, wenn er eingebunden ist in ein gemeinsames Denken.

Diese Frustration hat aber auch dazu geführt, dass du Arbeitskontexte suchen wolltest, in denen du selber frei als Künstler agieren kannst.

Das war auch das, was Hito gestärkt hat. Künstler sind auf gegenseitigen Respekt angewiesen, und wenn man den nicht hat, verschenkt man seine Kräfte. In unseren Berufen kommt man tendenziell schwer um die Kurven, deswegen ist diese gegenseitige Aufmerksamkeit so wichtig. Das ist bei neuen Jobs auch mein wichtigstes Kriterium geworden. Eigentlich arbeite ich nicht genug, um wirklich davon leben zu können, aber trotzdem musste ich schon ein paar Mal sagen, dass ich nicht kann. Ich muss mir sicher sein, dass es menschlich stimmt. Ich finde es auch sehr wichtig, dass man über die Produktionsweisen nachdenkt; das ist sehr komplex, aber man kann im Kleinen anfangen. Wenn ich in ein Theater komme, arbeite ich lieber mit Secondhand-Kleidung oder mit dem Fundus. Ich mache natürlich auch neue Sachen, weil es manchmal für den Ausdruck nicht anders geht, aber ich versuche es zu begrenzen und weniger zu verschwenden.

Wie würdest du deine Arbeit beschreiben?

Die Sachen, die ich mache, sind oft sehr einschüchternd. Teilweise sind sie befremdlich und man fühlt sich nicht unbedingt gleich sicher darin. Es ist aber sehr wichtig, dass die Darsteller oder Performer sich sicher fühlen auf der Bühne, sonst funktioniert das Kostüm meistens nicht. Das Wichtige ist aber, dass diese Fremdheit eine Möglichkeit bietet, neue Erfahrungsräume zu entdecken, damit sich eine größere Vielfalt an Bedeutungen öffnet, mit der man sich kritisch auseinandersetzen kann. Die Leute von She She Pop, mit denen ich viel arbeite, machen das alles mit, aber die kennen den Umgang mit Körperlichkeit, deswegen kann ich wahrscheinlich auch gut mit Performances umgehen. Ich merke, dass ich meine Kräfte verschenke, aber auch die Kräfte und das Potential der anderen, wenn ich am Anfang stur mit einer eigenen Vision komme und diese den anderen überstülpen möchte. Man macht dann zu und muss immer mit einem Panzer arbeiten. Den brauche ich ab und zu auch, zum Beispiel, wenn ich mit den Werkstätten arbeite oder beim Film; hier muss ich mich für das künstlerische Gesamtbild einer Produktion einsetzen können, was sehr viel Durchsetzungsvermögen braucht. Das ist für mich kräftezehrend, weil man die Unsicherheiten von anderen aufgreifen muss. Dadurch liegen natürlich auch meine eigenen Unsicherheiten sehr offen da. Das halten manche Regisseure ganz schwer aus, weil man ausstrahlen muss, dass man das Ding in den Hafen bringt. Wenn man unsicher rüberkommt, macht es andere auch unsicher. Da muss ich immer sehr wach bleiben.

Ist es das, was du im Studium gelernt hast, dich selber mit deiner Idee für eine Inszenierung, für ein Stück zu behaupten und gleichzeitig aber auch zu lernen, wie du auf einen Prozess reagierst, den du mit anderen gemeinsam gestaltest? 

Ja, und wie man das vermitteln kann, was wir vermitteln wollen. Es ist oft genug so, dass man nur für sich selber arbeitet. Wenn man zum Beispiel über die Biennale in Venedig geht, sieht man viele Arbeiten, die sich nur für die Künstler eröffnen. Ich finde es wichtig, dass wir vorsichtig mit unseren Aussagen sind, aber wir dürfen sie auch nicht blockieren. Kleidung geht ganz oft nur über das Sehen, alle sehen etwas und schon ist die Bedeutung festgelegt. Dabei geht es gar nicht ums Sehen, sondern ums Spüren. Dafür braucht man Zeit. Das war auch bei Pollesch so. Die Kostüme waren eigentlich ein Gefühl und nichts Visuelles. Wenn man sehr intellektuell arbeitet, geht einem schnell verloren, dass Sinnlichkeit eine ganz andere Ebene von Inhalt vermittelt. 

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit She She Pop?

Pieter Bax, der damalige Assistent von Bernd Skodzig, hat ein Projekt mit denen gemacht und gefragt, ob ich mitmache. Bei dem nächsten Projekt, Testament, konnte Pieter nicht und sie haben mich gefragt. Eigentlich haben sie immer selber Kostüme gemacht, das ist bei Performance eigentlich gängig. Ich habe keine Kostüme gemacht, sondern ihnen ihre eigenen Sachen angezogen. Ich glaube, sie haben gemerkt, dass ich mit der richtigen Aufmerksamkeit dabei bin. Es geht eigentlich nicht so sehr um das, was sie anhaben, sondern darum, einen kurzen Moment innezuhalten und dem Aufmerksamkeit zu schenken, was sie anziehen. Diese Aufmerksamkeit spürt man auch auf der Bühne. 

Wie gestaltete sich eure jüngste Zusammenarbeit, Le Sacre du Printemps?

Am Anfang stand das Konzeptionelle, wo ich für mich rausfinden musste, was das Frühlingsopfer ist. Ich habe mir viel die Musik angehört und Bilderrecherchen über die Zeit gemacht. Die Musik ist sehr physisch und deswegen musste alles beweglich sein und wandelbar. Bei She She Pop hat es sich inzwischen so entwickelt, dass ich eigene Performances präsentiere. Sie schauen sich das an und übernehmen manche Vorgänge. Die Tücher bei Frühlingsopfer sind auch eher eine musikalische Raum-Körper-Performance als Kostümbild. 

Die anschließende Arbeit mit den Müttern war mehr wie eine Porträtarbeit. Ich bin zu jeder Einzelnen nach Hause gefahren und habe vier Stunden mit ihr verbracht. Sie haben für mich gekocht und wir haben geredet, gegessen und Anproben gemacht. Es war zum Teil sehr fragil und schwierig mit den Müttern, weil es große Unsicherheiten gab, aber dadurch, dass ich ihnen Zeit gegeben habe, sich auf mich als Mensch einzustellen, konnte man manche Sachen viel leichter klären.

Du bist also zu den Müttern gefahren, hast mit ihnen gesprochen, hast geschaut, was sie für Menschen sind, wie sie leben und sich kleiden, um das dann auf die Bühne zu übertragen?

Zunächst hatte ich ganz normale Anproben mit ihren eigenen Sachen, doch auch mit Sachen, die ich mitgebracht habe, und die haben wir dann durcheinandergewürfelt. Das war die Erstanprobe. Danach bin ich zu jeder Einzelnen gefahren. Ich habe für jede eine Bluse gemacht, immer mit dem gleichen Schnitt, aber mit ganz unterschiedlichen Stoffen. Wichtig waren die Farben und das Material. Das war meine Reaktion auf sie. Es war nicht entscheidend, ob das auf die Bühne kommt, weil es nur eine Annäherung war. Für Laiendarsteller ist es schön, auch eigene Sachen einzubringen. Zum Teil habe ich sie komplett eingekleidet, aber die meisten hatten auch eigene Sachen an.

Hilft es ihnen, wenn sie mit ihren eigenen Sachen auf die Bühne gehen?

Das kommt darauf an. Die Väter bei Testament zum Beispiel hatten nur einzelne Elemente von mir an, Stiefel. Das war etwas sehr Physisches und man hat es auch gleich gesehen: Papa geht mit den Gummistiefeln raus. Das ist leicht und spielerisch. Bei den Müttern war es viel subtiler, manche waren frustriert über das, was sie anhatten. Man muss dann damit klarkommen, wenn sie nach der Premiere kommen und sagen, dass sie sich unwohl fühlen. Ich brauche auch teilweise länger als bis zur Premiere, um die Sachen zu verstehen. Aber sie hatten immer das Gefühl, dass ich auf sie eingehe. Ich denke, dass diese Auseinandersetzung dazu führt, dass man sich sicherer auf der Bühne fühlt. Das ist das, was ich anbieten kann, statt zu sagen, dass das Kostüm der Rolle dient oder eine Annäherung an den Text ist. Ich glaube, dass ich da anders als andere arbeite, weil ich dem sehr viel Aufmerksamkeit schenke. Ich merke, dass ich mich da nicht verschenke, im Gegenteil, ich bekomme etwas zurück, von Müttern, die siebzig sind. Das waren Lebenserfahrungen, die sie mir mitgegeben haben. Sie haben mir Sachen erzählt, die später dann auch auf der Bühne waren.

Die Situation mit den Vätern und den Müttern war eine, in der man sie besonders schützen wollte, indem man ihnen half, auf die Bühne zu gehen. Wenn die Performer selber auf der Bühne sind, geht man dann mit dem Kostüm anders um? Wenn ich für She She Pop Kostüme mache, kommen Erfahrungen zusammen, die sie mit Kleidung oder mit Körpern hatten. Es gab in Schubladen eine Passage über den Reißverschluss, wo man versuchte, spielerisch die Thematik aufzugreifen. Wenn man über Bewegungsfreiheit nachdenkt, ist es lustig, mit einem Reißverschluss zu arbeiten. Mit der Erfindung des Reißverschlusses konnte eine Frau sich zum ersten Mal sehr schnell an- und ausziehen, ohne tausend Knöpfe. Vielleicht wird es in der Darstellung noch überspitzt, aber es hat etwas grundlegend Physisches, Bewegliches, Freiheitliches. Da komme ich wieder auf unsere Diskussionen in Kostümgeschichte mit Julia Burde, wie Kleidung auch die sozialpolitischen Verhältnisse spiegelt. Etwa wenn die Frau Ende des 19. Jahrhunderts einen Hut aufhat, mit dem sie gar nichts sieht. Das ist eine extreme Begrenzung der Bewegungsfreiheit, weil sie an der Seite eines Mannes bleiben muss, der sie führt. 

Ist Bewegung ein zentrales Thema für dich?

Es geht immer um Bewegung. Ich will auch an den Punkt kommen, das mit meiner Stimmarbeit zu vereinen. Klang ist durchlässig und beweglich. Wenn man das als Grundlage hat, kann man ganz anders verstehen, wie Flächen und Oberflächen Leute begrenzen können. Man bekommt ein Gefühl dafür, was man anderen antut. Wenn man darauf achtet, verschenkt man sich auf der zwischenmenschlichen Ebene weniger. Das hat auch mit unserem Berufsbild zu tun, weil man sich auf eine sehr subtile, hintergründige Weise ziemlich verausgabt und ich für mich eine Balance finden muss, um das auszugleichen. Ich versuche, das Gefühl für meinen Körper und wie ich funktioniere beizubehalten. Es ist wichtig, wahrzunehmen, was für Belastungen auf einen hereinstürmen im täglichen Leben. Wenn man das nicht wahrnimmt, wird man fragil und da sind die künstlerischen Berufe teilweise sehr belastend. Man will unbedingt dabei sein und schläft nicht genug, nimmt keine Rücksicht auf sich selbst, verausgabt sich. Mich hat ein Satz von Pollesch begleitet: „Man braucht die Gedanken nicht mit Emotionen anzukleiden – klare Gedanken führen zu Emotionen.“ Ich habe gemerkt, dass das für mich nicht ausreicht. Wenn man nur auf der intellektuellen Ebene arbeitet und den Körper dabei vergisst, bekommt man irgendwann Probleme. Ich finde es total interessant, dass auch in dem Materiellen das Geistige mit drinsteckt. Sobald man Sachen anfasst, schwingen die Wahrnehmung und die Sinnlichkeit, aber auch etwas ganz grundlegend Philosophisches mit rein. Wir hätten sonst auch keine Entwicklung, sondern Stillstand, wenn wir nicht in der Lage wären, auch Materie zu verwandeln. In dieser Hinsicht öffnet das Kostümbild Möglichkeiten.

Lea Søvsø wurde 1982 in Dänemark geboren. Nach ihrer Schneiderinnenausbildung absolvierte sie ein Praktikum bei Bernd Skodzig für den Opernzyklus Der Ring des Nibelungen in Bayreuth. 2005 bis 2011 studierte sie Kostümbild bei Prof. Florence von Gerkan an der Universität der Künste Berlin und von 2008 bis 2011 war sie dort Gaststudentin in der Freien Kunst bei Prof. Hito Steyerl. Seit 2007 ist sie als freischaffende Kostümbildnerin für Theater und Film tätig, u. a. in Zusammenarbeit mit der Performance Guppe She She Pop, René Pollesch, Nis-Momme Stockmann, Hito Steyerl, Grzegorz Muskala und Julia Langhof. Sie ist außerdem als Künstlerin im Performance- und Ausstellungsbereich tätig. Lea Søvsø lebt in Berlin.

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