Theater der Zeit

Auftritt

Volkstheater Wien: Marzipanschweine im Dreivierteltakt

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach Ödön von Horváth und Johann Strauss – Regie Rieke Süßkow, Bühne Mirjam Stängl, Kostüm Sabrina Bosshard, Komposition und Musikalische Leitung Philipp C. Mayer, Choreographie Florian Hurler

von Christoph Leibold

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Rieke Süßkow Volkstheater Wien

Sprech-Singsang im Zuckerbäckerhimmel: Rieke Süßkow legt Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Wiener Volkstheater eine zweite Partitur über.
Sprech-Singsang im Zuckerbäckerhimmel: Rieke Süßkow legt Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Wiener Volkstheater eine zweite Partitur über.Foto: Susanne Hassler-Smith

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„In der Luft ist ein Klingen und Singen – als verklänge irgendwo immer wieder der Walzer Geschichten aus dem Wiener Wald von Johan Strauß“ heißt es gleich am Anfang von Ödön von Horváths Stück, an dessen Ende die Szenenanweisung wiederholt wird, nun ergänzt um den Zusatz: „Als spielte ein himmlisches Streichorchester“. Rieke Süßkow hat aus dieser Rahmung die Grundidee ihrer Inszenierung entwickelt. Im Orchestergraben des Wiener Volkstheaters hat ein Kammerseptett Platz genommen, das den Ton der Aufführung an- und den Dreivierteltakt vorgibt. Philipp C. Mayer, musikalischer Leiter der Produktion, hat ein Mash-Up aus Strauß-Walzermelodien kreiert, das er auch schon Mal mit Valse Musette-Anleihen anreichert oder mit Techno-Beats unterlegt. Zudem brechen regelmäßig dissonante Klänge die Opernball-Seligkeit.

Die Dialoge in den kritischen Volkstheaterstücken Ödön von Horváths sind an sich schon so etwas wie Partituren, gehalten in einem Kunstdialekt (der Autor verbat sich jedweden mundartlichen Naturalismus aufs Strengste), der mit süddeutscher Syntax, Wortkontraktionen und -verknappungen einen ganz eigenen Rhythmus schafft. Zentral dabei: die berühmten Horváthschen „Stillen“ (als solche vom Autor stets präzise platziert und markiert im Text), also Pausen zwischen dem Gesagten, in denen zwischen den Zeilen das Unausgesprochene, Mit-Gemeinte bleischwer in der Luft hängt. Als steckte das Gerede der Figuren nicht sowieso schon voller Niederträchtigkeiten, tun sich in diesen Stillen meist klaffende Abgründe von noch entsetzlicherer Bodenlosigkeit auf. Bei Ödön von Horváth schlägt das sprichwörtliche goldenen Wiener Herz zwar im Dreivierteltakt, das Gesellig-Gemütliche dient aber vor allem der Tarnung niederer Instinkte und Gemeinheiten, die sich gegen alle richten, die nicht mitschwingen im Walzer-Gleichschritt.

In „Geschichten aus dem Wiener Wald“ trifft es am härtesten die junge Marianne, Tochter eines verwitweten Puppengeschäftbetreibers, die den grobschlächtigen Fleischhauer Oskar heiraten soll, sich aber aus Verzweiflung dem windigen Strizzi Alfred an den Hals wirft. Die Verlobung mit Oskar platzt, Mariannes Traum von einem selbstbestimmten Leben an der Seite Alfreds ebenso.

Auf der Bühne des Wiener Volkstheaters begegnet einem das Personal des Stücks in Gestalt fratzenhaft-feister Erscheinungen mit rosigen, silikon-aufgepolsterten Wangen, die die Augen zu Knopfäugelein schrumpfen zu lassen scheinen. Fast alle Rollen sind crossgender-besetzt (Maximilian Pulst zum Beispiel gibt eine traurig-entrückte Marianne, Katharina Kurschat und Karoline Marie Reinke als deren Vater respektive Verlobter spielen gemeingemütliche Männer mit k.u.k.-Schnauzbärten). Das verstärkt das karikaturistische der Charakterzeichnung (dem Horváth eigenem Bekunden zufolge „positiv“ gegenüberstand), überschreitet aber zuweilen die Grenze zur Parodie (die wiederum der Autor „radikal“ ablehnte).

In ihrer rotbackigen Schweinsäugigkeit jedenfalls wirken die Figuren hier wie aus Marzipan geknetet, als wären sie als Deko für eine Hochzeitstorte gedacht. Und tatsächlich erinnert die Bühne passend dazu an ein Zuckerbäckererzeugnis aus der Wiener Hofkonditorei. Nur dass das Publikum nicht auf eine Torte drauf, sondern in deren Inneres hineinzublicken scheint. Die Kulisse (Mirjam Stängl) wird – wie auch die Kostüme von Sabrina Bossard – dominiert von der süßlichen Farbenpalette zwischen Rosa, Pink und Peach. Eine kreisrunde Wand fasst die rotierende Drehbühne ein wie eine Springform. Und als Zuckerguss, der sich über alles legt, gewissermaßen als Klangkulisse: das beständige Klingen und Singen des Kammerorchesters, auf das das Ensemble mit unentwegtem Trippeln und Tanzen reagiert.
Aber nicht nur die Bewegungen, auch die Sprache fügt sich dem Diktat der Musik, passt sich in Tonhöhe und Tempo den Melodien an. Das Ergebnis ist ein Sprech-Singsang, der sich vereinzelt sogar zu richtgehenden Gesangs-Passagen aufschwingt. Horváth goes Operette! Mitunter werden die Dialoge dadurch deutlich gedehnt. Rieke Süßkow hat die Handlung zwar erheblich gerafft, dennoch stellt sich durch die spezielle Form der Sprachbehandlung eine Art Slo-Mo-Effekt. Das ist von bestechender Präzision, aber nicht frei von Zähigkeit. Ein Klingen und Schwingen ohne rechten Schwung.

Rieke Süßkow hat über Ödön von Horváths Text-Partitur eine zweite Partitur gelegt, die sie zwar dem Stück selbst abgelauscht hat – und doch tut diese Doppelung dem Abend nicht wirklich gut, walz(er)t die Musik doch die feinen Fiesheiten, die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ so boshaft funkeln lassen, eher platt, als sie zu schmerzhafter Entfaltung zu führen.

Süßkow ist das womöglich selbst aufgefallen. Jedenfalls hat sie versucht, auf der Klangspur eine Schärfe-Schippe nachzulegen. Wenn Oskar „seiner“ Marianne, Zudringlichkeit als Zärtlichkeit tarnend, den Kopf in den Nacken biegt, ist das mit dem Sound knacksender Knochen unterlegt. Als würden Halswirbel brechen. Auch in den wenigen Momenten der Ruhe zwischen der Musik, wenn lediglich die Drehbühne still kreist, liegt statt dem Klingen und Singen ein Knarzen und Knirschen in der Luft, wie von den Planken oder der Takelage eines havarierten Segelschiffs. Man könnte es auch als Ächzen der Aufführung unter der Last eines Konzepts begreifen. Klassischer Fall von: ambitioniert/spannend gescheitert.

Erschienen am 15.12.2025

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