Kolumne
Ausweitung der Freiräume
von Daniele Szeredy
Erschienen in: Theater der Zeit: Neues Musiktheater (10/2025)
Es gibt einen Satz von David Graeber in einer Fußnote von „Bullshit Jobs“, der mir so viel wert ist wie das ganze Buch, und schon das Buch ist mir viel wert: „Normally I avoid attributing agency to abstractions.“
Graeber bezieht sich auf die Formulierung „capitalism creates“ in einem nicht von ihm stammenden Titel eines von ihm geschriebenen Artikels. Doch Kapitalismus, verstanden als Abstraktion von Produktionsweisen und Verteilungsprinzipien, kann nicht schaffen. Es ist das Handeln nach bestimmten Produktionsweisen und Verteilungsprinzipien, das ihn schafft – als performativer Akt.
Kapitalismus ist im Umkehrschluss kein einheitliches, totales System, sondern es sind abstrakte Ideen, die durch Handlungen wirklich werden.
Auf das Theater angewendet: Theater produziert nicht. Theater wird produziert. Oder: Im Theater wird produziert. Ich greife zurück auf die erste Vorlesung des ersten Semesters Theaterwissenschaften, die mit der Aufschlüsselung dieser sprachlichen Ungenauigkeit begann, denn Theater kann entweder Ort oder Institution oder Kunstform bedeuten. Der Raum dazwischen ist ein bewohntes Spannungsfeld.
In „Kunst des Handelns“ (ein weiterer ungenauer Titel übrigens, da im Original „L’Invention du Quotidien“) bezeichnet Michel de Certeau „Ort“ als geordnete Koexistenz von Elementen in einem bestimmten Moment. Im Moment, in dem ich dies schreibe: Laptop, Kaffeetasse, Buch. Darunter Tisch, darunter...