Theater der Zeit

Humboldt-Forum Berlin. Das Projekt

Ortsbestimmung

von Hermann Parzinger und Thomas Flierl

Erschienen in: Humboldt-Forum – Das Projekt / The Project (07/2009)

Assoziationen: Berlin

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Mit der Entscheidung der Bundesregierung, den im November 2008 gekürten 1. Preis im Internationalen Realisierungswettbewerb «Wiedererrichtung des Berliner Schlosses - Bau des Humboldt-Forums im Schlossareal Berlin», den Entwurf von Franco Stella, zu realisieren, hat die Frage, wie die Mitte der Berliner Spreeinsel zukünftig gestaltet werden soll, nach fast zwanzig Jahren endlich eine Antwort gefunden. Dem Wettbewerb waren in den Jahren 2002 und 2003 Grundsatzentscheidungen des Deutschen Bundestages vorangegangen, den Palast der Republik abzureißen und einen Neubau in der Kubatur des Berliner Schlosses mit der Rekonstruktion dreier barocker Außenfassaden und des Schlüterhofes zu errichten. Die Debatte darüber, wie die alte preußische Staatsmitte und die spätere gesellschaftliche Mitte der 1990 verschwundenen DDR in der Hauptstadt des nun vereinten Deutschland zukünftig gestaltet werden soll, wurde dabei fast ausschließlich geschichtspolitisch und ästhetisch, vornehmlich mit den Argumenten von Architektur und Städtebau, geführt. Die Diskussion, ob der 1976 eröffnete Palast der Republik nach seiner Asbestsanierung rekonstruiert und ergänzt, ob das 1950 als Kriegsruine abgerissene Berliner Schloss wiederaufgebaut oder aber, ob jenseits von Schloss und Palast etwas neues Drittes geschaffen werden soll, diese Debatte nahm- keineswegs nur nach Ost und West geordnet - vielfach die Züge eines Kultur- und Bilderkampfes zwischen Schloss und Palastfreunden bzw. zwischen Historisten und Modernisten an.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten dieser inzwischen historischen Debatte, dass die Frage, was das Humboldt-Forum zukünftig eigentlich sein solle, erst jetzt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückt. Dabei kann die vom damaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, bereits im Jahre 2002 im Rahmen der Internationalen Expertenkommission «Historische Mitte Berlin» aufgebrachte Idee des Humboldt-Forums gerade als das neue Dritte aufgefasst werden, das die Antinomie von Schloss und Palast im dialektischen Sinne aufhebt. Das Humboldt-Forum war und ist sehr viel mehr als nur der rettende Gedanke für die Legitimation des Wiederaufbaus des Schlosses und bedeutet weit mehr als nur die Verlagerung der Dahlemer Museen mit ihren außereuropäischen Sammlungen zur Kunst und Kultur Afrikas, Amerikas, Asiens, Australiens und Ozeaniens in die Mitte der Stadt. Das Projekt muss und wird mehr sein als nur das Neben- und Miteinander von Teilen der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin in einem Gebäude. Das Humboldt-Forum ist nicht nur das bisher bedeutendste kulturelle Bauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland, als Projekt erfordert es die Erfindung einer für Berlin gänzlich neuartigen kulturellen und wissenschaftlichen Institution für das 21. Jahrhundert. Das Humboldt-Forum entwickelt die Idee, die der Schaffung der Museumsinsel im19. Jahrhundert zugrunde lag, nun zu einer greifbaren Vision von der Gleichberechtigung aller Kulturen in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts weiter. Deutschland schließt nach den historischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts mit diesem „Grand projet» an seine Tradition als Kultur- und Wissenschaftsnation an und will in seiner Hauptstadt einen Ort schaffen, an dem der Dialog der Kulturen auf lebendige Weise erfahrbar sein wird. Es ist ein bedeutendes Zeichen, dass Deutschland diesen historisch, politisch und städtebaulich herausragenden Ort dieser Vision widmet. Dabei bedeutet es eine enorme intellektuelle Herausforderung, das Humboldt-Forum zu einem Erkenntnis- und Begegnungsort für die Welt zumachen, zu einem Ort, der Öffentlichkeit und Erfahrung - exemplarisch für das 21. Jahrhundert - verschränkt und zugleich der städtischen Mitte Berlins eine zentrierende öffentliche Sinnbestimmung verleiht.

Die Globalisierung stellt die Menschen vor immense Probleme. Unterschiedliche Kulturen entwickeln und begegnen sich in nie da gewesener Geschwindigkeit und Komplexität. Das Wissen von den globalen Zusammenhängen und interkulturelle Kompetenz werden zur wichtigsten Ressource für die eigene Orientierung. Das Humboldt-Forum soll ein globales Netzwerk präsentieren, das kulturelles Erleben und Wissensvermittlung, die Begegnung mit Künsten und Wissenschaften sowie die Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken der Globalisierung ermöglicht und sich gleichzeitig als ein attraktives Veranstaltungszentrum versteht, als ein offenes Haus, das in Anlehnung an den Volkshauscharakter des Palastes der Republik nicht auf ein ausgewähltes Spezialpublikum zielt, sondern auf eine möglichst breite nationale und internationale Besucherschaft mit vielfältigen Interessen.

Nur ein vitaler Ort, der den zutiefst politischen Ort in der Mitte der Spreeinsel wiederum politisch nutzt, aber nicht länger für staatliche Repräsentation, sondern für öffentliche universelle Selbstverständigung, ist in der Lage, die urbanen Energien zumobilisieren und diese Leitidee zu vermitteln: Alle Kulturen der Erde sind in ihrer gleichberechtigten Eigenständigkeit wichtige Elemente zur Gestaltung und Bereicherung einer neuen globalen Gesellschaft. Das Wissen und das Erleben einer Vielfalt von Leben, Denken und Gestalten schaffen elementare Zugänge zu Verständnis, Toleranz und Freiheit. Und gerade dadurch trägt das Projekt Humboldt-Forum auch eine hochpolitische Aufgabe in sich.

Mit dem Humboldt-Forum verfügt die deutsche Gesellschaft über ein ambitioniertes Zukunftsprojekt, das zwar baukulturell den Widerstreit von Tradition und Moderne auszutragen hat, aber funktionell den Anschluss an das Wissen und die Kulturen der Welt herstellen wird. Es antizipiert damit einen demokratischen Ort einer zukünftigen Weltgemeinschaft und bietet so den Deutschen wie den Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt ein Forum ihrer eigenen Selbstverständigung. Das Humboldt-Forum induziert tendenziell ein neues Verhältni s von Öffentlichkeit und Erfahrung, von Verortung und Diskursivität globaler Existenz, es bietet Möglichkeiten einer öffentlichen, weltweit vernetzten Institution und eines dennoch urban und historisch rückgebundenen Ortes. Die Sehnsucht nach Kontinuität, die sich in der Schloss-Rekonstruktion ausspricht, bezeugt zugleich aber auch das noch immer labile Vertrauen in das «unvollendete Projekt der Moderne ». Ob wir wollen oder nicht, auch das ist ein Merkmal unserer Zeit. Mit dem Beschluss der Bundesregierung zur Errichtung der «Stiftung Berliner Schloss/Humboldt-Forum» wurde mittlerweile der zukünftige Bauherr von Schloss und Humboldt-Forum konstituiert. Der Berliner Senat bereitet das Bebauungsplanverfahren vor. Die drei Hauptnutzer, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren Staatlichen Museen zu Berlin, die Zentral- und Landesbibliothek Berlin und die Humboldt-Universität zu Berlin präzisieren in Kooperation mit Franco Stella und den Ausführungsplanern derzeit das Bauprojekt. Den nächsten Schritt auf dem Weg zum Humboldt-Forum werden die drei Partner und Hauptnutzer mit der gemeinsamen Ausstellung gehen, die am 8. Juli 2009 im Alten Museum eröffnet und bis zum 17. Januar 2010 zu sehen sein wird. Unter dem Titel «Das Humboldt-Forum im Schloss. Anders zur Welt kommen» werden - gleichsam als Blick hinter die Kulissen - Konzeptideen und Planungen präsentiert, die im Humboldt-Forum zur Anwendung kommen sollen, ohne allerdings die späteren Inhalte bereits vorwegzunehmen. Die Ausstellung hat dadurch den Charakter eines Experiments, eines Werkstattberichts. Sie wird einen differenzierten Einblick in die Möglichkeiten der drei Partner und in die Chancen ihres Zusammenwirkens geben; sie wird den Wandel der Kulturen als Bewegung begreifen und dies auf unterschiedlichen Ebenen und aus wechselnden Erzählperspektiven thematisieren. Die Ausstellung wird aber auch den historischen Bogen von der Kunstkammer als mikrokosmischer Zusammenziehung von Natur, Kultur und Wissenschaft bis hin zur zukunftsgerichteten Forschungs- und Vermittlungsarbeit schlagen, der sich Museum, Bibliothek und Universität insbesondere verpflichtet fühlen. Die Nutzer sind dabei der festen Überzeugung, dass Veränderbarkeit zu den grundlegenden Merkmalen des Humboldt-Forums gehören muss. Es wird eine besondere Herausforderung sein, mit dem Humboldt-Forum einen Ort mit inhaltlicher Dynamik zu schaffen, an dem die sich ständig verändernden Fragen und Sichtweisen unserer Zeit wie auch kommender Generationen gestaltende Kaft erhalten können.

Als Thomas Flierl Anfang des Jahres Hermann Parzinger vorschlug, gemeinsam ein Buch herauszugeben, in dem das Konzept des Humboldt-Forums ausgebreitet und in den Kontext vergleichbarer internationaler Projekte gestellt wird, wusste er noch nichts von der geplanten Ausstellung im Alten Museum. Hermann Parzinger griff diesen Gedanken gerne auf, weil er sich mit eigenen Überlegungen deckte und so zur Ausstellung eine Begleitpublikation zur Verfügung steht, die den Stand der bisherigen Überlegungen dokumentiert und zur weiteren produktiven Debatte einlädt. Die beiden Herausgeber, der Wissenschaftler, der das eminent politische Amt des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz innehat, und der frühere Berliner Kultur- und Wissenschaftssenator, der nun stärker konzeptionell und publizistisch tätig ist, eint die Faszination am Projekt eines neuartigen Kultur- und Wissenszentrums in der städtischen und gesellschaftlichen Mitte Berlins sowie die Überzeugung, dass jetzt die inhaltliche Präzisierung des Humboldt-Forums die weitere Projektentwicklung dominieren sollte. Die beiden Herausgeber mit ihren unterschiedlichen Lebenswegen, der eine aus dem Osten und der andere aus dem Westen Deutschlands kommend, verbindet aber auch die tiefe Überzeugung, dass das wiedervereinigte Land mit dem Projekt Humboldt-Forum in kultureller Hinsicht einen entscheidenden Schritt in eine neue Zukunft unternehmen kann, eine Zukunft, die auf der Geschichte und den unterschiedlichen Traditionen unseres Landes gründet und zugleich gänzlich neue Zielmarken ins Auge fasst.

Unser Buch entfaltet zunächst die integrative Idee des Humboldt-Forums und die jeweilige Projektplanung der drei Hauptnutzer. Zudem erschien es uns sinnvoll, die prämiierten Entwürfe des Architekturwettbewerbes zu dokumentieren; der Besucherandrang der nur kurze Zeit geöffneten Ausstellung dazu im Kronprinzenpalais zeigte, wie groß das Interesse der Menschen ist. Indem wir schließlich die Erwartungen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit (von Politik, Kultur, Kunst und Wissenschaft) an das Projekt aufnehmen, dabei auch die kritischen Stimmen zu Wort kommen lassen und ebenso die internationalen Erfahrungen bei der Präsentation der Weltkulturen bei vergleichbaren musealen Projekten abfragen sowie die neueren Kulturbautenweltweit identifizieren, versuchen wir die verschiedenen Dimensionen des Projektes Humboldt-Forum auszuleuchten.

Das Buch ist kein Katalog zur Ausstellung, sondern versteht sich allenfalls komplementär dazu. Während die Ausstellung eine Imagination der zukünftigen Nutzung bieten soll, thematisiert das Buch die konzeptionellen Grundlagen des Projektes und stellt es in verschiedene Kontexte. Wegen des international großen Interesses, das dem Projekt Humboldt-Forum entgegengebracht wird, erscheint das Buch durchgehend zweisprachig in Deutsch und in Englisch.

Die hier versammelten Beiträge liefern zahlreiche wichtige Anregungen für die weitere Arbeit, wie der am Ende stehende Ausblick deutlich macht. Es liegt nun an den drei Hauptnutzern und der Stiftung Berliner Schloss/Humboldt-Forum, sie zur Qualifizierung der Projektplanung und zur Präzisierung der Betreibung des Humboldt-Forums zu nutzen.

Die Herausgeber danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft, an dem Buchprojekt mitzuwirken und ihre Beiträge in notgedrungen kurzer Zeit zu erstellen. Der in diesem Buch aufscheinende kollegiale Dialog und die sich abzeichnenden Partnerschaften von Personen und Institutionen erscheinen uns eine gute Grundlage für die weitere Entwicklung des Projektes Humboldt-Forum zu sein. Weiterhin danken wir der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Bundeszentrale für politische Bildung, die das Buchprojekt durch Vor- bzw. Mitfinanzierung ermöglicht haben.

Schließlich sei dem Verlag Theater der Zeit, seinem Leiter Harald Müller, der Lektorin Nicole Gronemeyer und dem Gestalterduo Kerstin Baarmann und Dieter Feseke (umbra-dor) für die vorzügliche Zusammenarbeit gedankt.


Die Herausgeber Thomas Flierl, Hermann Parzinger
BERLIN, IM JULI 2009

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