Theater der Zeit

Auftritt

Dessau: Pioniere, voran!

Anhaltisches Theater: „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Regie Milan Peschel, Ausstattung Nicole Timm

von Erik Zielke

Erschienen in: Theater der Zeit: Kleiner Mann, was nun? – Geschlechterbilder im Theater – Ein Jahresrückblick (12/2021)

Assoziationen: Anhaltisches Theater Dessau

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Wie sich das wohl verträgt, das testosteronhaltige Schiller’sche Frühwerk „Die Räuber“ und der kraftstrotzende Regisseur Milan ­Peschel? Bestens – insofern, als die Fallstricke des Stücks allesamt umschifft werden, weil Peschel sich in seiner ironiegeladenen Inszenierung für die Handlung des Dramas genauso wenig interessiert wie für den Marbacher Nationaldichter selbst, wenngleich er ihm eine Rolle in das Stück schreibt. Peschel, ganz und gar Veteran der Berliner Volksbühne, hat als Schauspieler von Frank Castorf gelernt. Und nun trägt er etwas rebellischen Geist aus den neunziger und nuller Jahren, Dramendekonstruktion und Würstchenwürfe (ohne Kartoffelsalat) inklusive, in die Welt. Zum Beispiel ans Anhaltische Theater Dessau.

Hier lässt er Räuber Roller, gespielt von Sebastian Graf, den Anfang machen. Die Bühne ist mit einem schwarz-weiß-roten (Piraten-)Segel verhangen, eine halbhohe Wand davor in Schwarz. Da kommt Roller, nur mit einer Gitarre bewaffnet, und singt so schön und gefühlvoll Wolf Biermanns „Ermutigung“, dass es fast schmerzt. „Die allzu spitz sind, stechen / Und brechen ab sogleich“. Da ist man nicht unglücklich, als ihn Karl Moor, den Niklas Herzberg gibt, gewaltsam zum Aufhören zwingt.

Überhaupt geht es musikalisch-asso­ziativ zu bei dieser Inszenierung. Das elf­köpfige Ensemble hat sichtlich Freude beim Parcours durch Sturm und Drang. Nicole ­Widera spielt durchaus eindrucksvoll die Amalia. Und weil’s die Klangverwandtschaft zulässt und auch bei Schiller ein bisschen Patriarchat wütet, kommt sie mit Heiner Müllers „Hamletmaschine“ um die Ecke: „Ich bin Amalia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau am Strick Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern“. Apropos Heiner Müller: Der hatte seine Gründe, an die Möglichkeit, im 20. Jahrhundert noch eine Tragödie schreiben zu können, nicht mehr zu glauben. Nun führt ­Peschel uns vor, dass ihm auch ein Trauerspiel aus dem 18. Jahrhundert nur noch zur Farce gereicht. Und so ist auch diese Amalia mit ihren durchaus ernst zu nehmenden Problemen nur eine Vorlage für eine ironisierte Metaebene.

An Einfällen mangelt es dem Regisseur wirklich nicht. Und zu keiner Zeit fühlt man sich in dieser neunzigminütigen Inszenierung gelangweilt. Aber die angeworfene Unterhaltungsmaschinerie führt letztlich zu nichts, jedenfalls nicht zu Erkenntnissen. Der Klamauk regiert an diesem Theaterabend. Die drei Moors, der orientierungslose Rebell Karl, der neoliberale Pappkamerad Franz (Henning Hartmann) und der egozentrische Potentat Maximilian (Roman Weltzien), sind allesamt nur Witzfiguren. Die Auseinandersetzung zwischen aufgeklärter Vernunft und emotionalem Eifer passt nicht schlecht in die aufgeriebene Jetztzeit. Aber die Chance, dieser Fährte nachzugehen, wird vertan.

Peschel interessiert sich mehr für die pubertäre Präpotenz, die dem Räuberaufstand innewohnt. Die Rebellen um Karl Moor sind wirre Träumer, Alkoholiker, Pfandsammler. So eindrücklich dieses Bild auch ist, sind Zweifel angebracht, ob hier der Witz auf Kosten der Richtigen geht. Wenn sich der Vorhang hebt und die schwarze Wand in der Versenkung verschwindet, zeigt sich dann auch ein verfremdeter Sowjetstern. Nun geht es pseudosoziologisch ans Eingemachte. Pionierlied für Pionierlied und Kampflied für Kampflied – das Publikum schunkelt bereitwillig mit – wird gewissenhaft vorgeführt, dass ziemlich viel Idiotie auf der Welt Platz hat und dass das doch irgendwie mit dieser DDR zusammenhängen muss. Aber wie genau, das wüsste man dann doch gerne.

Die anarchische Aneignung von Schillers Text mag auf den ersten Blick sympathisch daherkommen. Aber wenn die Freiheit, die man sich hier nimmt, nicht genutzt wird, um etwas zu erzählen, verlässt man unbefriedigt das Theater. Der Vorhang fällt dann auch vor dem letzten Akt, niemand muss sterben in dieser „Räuber“-Inszenierung. Stattdessen zum Abschluss noch mal Biermann: „Dass wir die Waffen strecken / Schon vor dem großen Streit“. Großer Streit? Nicht an diesem Abend. //

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