Abschied
Schrecken und Schönheit, Liebe und Tod
Über Patrice Chéreau – ein Nachruf
Erschienen in: Theater der Zeit: Philipp Hochmair: Ein Mann, alle Rollen (11/2013)
Assoziationen: Akteure
Als Akteur hat sich Patrice Chéreau einmal in seine eigene Inszenierung geworfen, das war am 20. August 1977 im Bayreuther Festspielhaus. René Kollo hatte sich beim Segeln den Fuß gebrochen und sang die Partie des Siegfried am dritten „Ring“- Abend mit einem Gipsbein in der Kulisse; so spielte der Regisseur den jungen Siegfried selbst und mit strahlender Souveränität. Es gibt schöne Fotos von seiner jünglingshaft-inständigen Erscheinung an diesem Abend, der den Opponenten der Inszenierung, die mit Flugblättern und einer Vereinsgründung gegen sie Front machten, die ersehnte Gelegenheit zu bieten schien, durch Buhchöre das Ganze zu Fall zu bringen. Ich sehe die besmokingten Jungmannen noch vor mir, die den Jockey Club der Niederbrüller bildeten; ein drastischer Gegenruf aus dem Publikum brachte sie zum Verstummen. Der Dirigent, Pierre Boulez, hatte sich nicht beirren lassen, und im dritten Akt geriet zwischen Chéreau und Gwyneth Jones das Allerschwierigste, was es auf der Opernbühne gibt, dieses langgezogene Erwecken der verzauberten Brünnen- Maid, zu einem Wunder an Furcht, Zartheit und Ekstase.
Dieser „Ring“, an dem der Regisseur und seine Mitverschworenen, Richard Peduzzi, der Bühnen-, und Jacques Schmidt, der Kostümbildner, von Jahr zu Jahr weiterarbeiteten, ist längst Legende; dem Skandal folgte der Rausch, wie Colette Godard einmal...