Einleitung
von Stephan Jöris, Clemens Risi, Sebastian Reus und Robert Sollich
Erschienen in: Recherchen 52: Angst vor der Zerstörung – Der Meister Künste zwischen Archiv und Erneuerung (07/2008)
Die Angst vor der Zerstörung ist in der Oper so weit verbreitet wie in kaum einem anderen Bereich der zeitgenössischen Künste. Spätestens seit dem Aufkommen des so genannten Regietheaters in den 1970er Jahren tobt hier ein Dauerkonflikt zwischen Bewahrern und Erneuerern, in dessen Rahmen um den angemessenen Umgang mit der Oper gerungen wird. Wo die einen Interpretation als kreativen Akt verstehen und sich für die Wiederholung um der Differenz willen interessieren, beharren die anderen auf so genannter »Werktreue« und wollen die alten Meister vor dem vermeintlich zerstörerischen Zugriff einer modernen Anverwandlung schützen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im Zentrum der Auseinandersetzung immer wieder Neuinterpretationen der Opern Richard Wagners stehen. Werden derlei Dispute doch nicht nur um Wagner, sondern bemerkenswerterweise auch schon bei ihm geführt, gleichermaßen in seinen theoretischen Schriften wie in seinen Bühnenwerken. Namentlich seine beiden großen Künstlerdramen Tannhäuser und Die Meistersinger von Nürnberg thematisieren die Angst vor der Zerstörung lieb gewonnener ästhetischer Ordnungen und Praktiken und warten mit einer uns ziemlich vertrauten Frontstellung auf: Hier die Wartburgwelt, die ihre Konventionen als ewig gültige moralische und ästhetische Werte hochhält, dort Tannhäuser, der deren Überschreitung proklamiert. Hier die Meister, deren Kunstauffassung ganz auf Bewahrung des Überlieferten zielt, dort Walther...