Theater der Zeit

Theaterpraxis zwischen Tradition und Zeitgenossenschaft

Bertolt Brecht in Afrika

So fern, so nah

von Ramsès Bawibadi Alfa

Erschienen in: Recherchen 157: Theater in Afrika II - Theaterpraktiken in Begegnung – Kooperation zwischen Togo, Burundi, Tansania und Deutschland (07/2020)

Assoziationen: Afrika Theatergeschichte

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Obwohl Bertolt Brecht auf den ersten Blick nichts mit dem afrikanischen Kontinent zu verbinden scheint, ist der Geist seines Werkes auch in Afrika omnipräsent. Man sollte sich nur das Interesse an Brecht vor Augen halten, sowohl im akademischen Milieu, als auch in der Welt des Schreibens und des Theaters. Durch sein Werk hat Brecht großen Einfluss auf Afrikas Intellektuelle und Schriftsteller*innen ausgeübt. Brecht dürfte, wie andere klassische europäische Autor*innen, durch die kolonialen Bindungen mit Europa, in Afrika bekannt geworden sein. Seit der Unabhängigkeit Togos (1960) ist das Schulsystem als koloniales Erbe immer noch nach dem europäischen Modell aufgebaut. Entsprechend haben westliche Autor*innen ihren angestammten Platz im Lehrplan inne. Als einer der größten deutschen Dramatiker aller Zeiten repräsentiert Brecht die deutsche Literatur.

Indem er eine Theatertheorie entwickelte, in der sich Freiheit auf sozialem, politischem und kulturellem Gebiet aus dem Volkswillen herleitet, hat sich Brecht, ohne es zu antizipieren, einen Platz in der afrikanischen Dramaturgie erkämpft. Die ursprüngliche Form der darstellenden Kunst in verschiedenen afrikanischen Kulturen bleibt die Erzählung. Erzählung meint mehr als eine Geschichte, die erzählt wird, sie fungiert als Gelegenheit, bestimmte politische und soziale Themen zu thematisieren und zielt somit darauf ab, das Publikum zum Nachdenken zu bringen. Bertolt Brecht steht in erster Linie für ein revolutionäres Theater, das dem Publikum eine Welt zeigt, die es zu verändern gilt. In Afrika kämpfen Menschen für mehr Freiheit, Gleichheit und Demokratie. Tausende von Afrikaner*innen, die wegen ihrer Überzeugungen aus ihren Ländern fliehen mussten, lassen uns an Brechts politisches Engagement denken. Viele afrikanische Schriftsteller*innen, Dramatiker*innen, Regisseur*innen und Schauspieler*innen finden darin Antworten auf ihre Fragen.

Bertolt Brecht prägte das Theater in den arabischen Ländern. Dies wird zwar von den politischen Autoritäten bestritten, viele Regisseur*innen entdecken jedoch, von Brecht inspiriert, eine neue Art des szenischen Schreibens und eine einzigartige politische und ideologische, insbesondere sozialistische Bedeutung. In Subsahara-Afrika ist Brechts Inspiration bei vielen Schriftsteller*innen deutlich spürbar, zum Beispiel bei Wole Soyinka mit seinem Stück Opera Wonyosi, einer freien Adaption der Dreigroschenoper.

Auch in Togo scheint das moderne Theater auf Brechts Grundlagen aufgebaut zu sein. Senouvo Agbota Zinsou, der Wegbereiter des zeitgenössischen togoischen Theaters, erzählt in seinem autobiografischen Text Le témoin d’Agbenoxevi (Agbenoxevis Zeuge), wie Brechts Stilmittel, der Verfremdungseffekt, zu seiner künstlerischen Handschrift beitrug. Der Verfremdungseffekt zeigt sich auf der Bühne durch ein ständiges Hin und Her zwischen Interpretation und Erzählung. Der Schauspieler wechselt zwischen der Figur und einem Geschichtenerzähler. Diese Vorgehensweise hat sich zu einem eigenständigen Genre entwickelt: le conte théâtralisé (die dramatisierte Erzählung).

Im togoischen Theater war Bertolt Brecht wiederholt vertreten: Die Bibel ist eines der ersten Stücke Brechts, das vom Nationaltheater aufgeführt wurde. Zu Beginn der neunziger Jahre gab der deutsche Regisseur Lucas Hemleb einen Theaterworkshop am Nationaltheater, wo er Die Kleinbürgerhochzeit aufführte. Es folgte eine Inszenierung von Kangni Alem mit Mutter Courage und ihre Kinder am Goethe-Institut in Lomé. Ab 1996 erarbeitete Ramsès Alfa, Autor dieses Textes, kontinuierlich mit seiner Theatergruppe Compagnie Louxor und dem Deutschklub der Abteilung für Deutsche Sprache der Universität Lomé in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut regelmäßig verschiedene Stücke von Brecht.

Die grundlegenden Mechanismen des Brechtschen Theaters finden sich in den populären theatralen Ausdrucksformen in Togo wieder. Brecht fordert die aktive geistige Beteiligung der Öffentlichkeit. Das findet sich oft schon in der Situation der Theateraufführung: In Togo ähnelt sie einer öffentlichen Debatte, bei welcher das Publikum seine Meinung zum Gesehenen im Verlauf oft lautstark äußert.

Theater ist in Afrika keine einfache Unterhaltungskunst. Brecht bietet hier szenische Stilmittel und publikumswirksame sprachliche Mittel, die zu politischer und sozialer Befreiung beitragen. Auch wenn Brecht weit entfernt von Afrika lebte, hat er doch den afrikanischen Kontinent stark geprägt. Dies liegt schlicht an der Universalität seines Werkes in einer kulturellen Welt, von der Afrika sehr wohl ein Teil ist.

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