Eine Einladung
von För Künkel und Mirjam Hildbrand
Erschienen in: Zirkuskunst in Berlin um 1900 – Einblicke in eine vergessene Praxis (02/2025)
Es wirkt wie die Ironie der Geschichte, dass sich gerade ein Vertreter des Deutschen Bühnenvereins sowie der Direktor des Thalia Theaters für eine bessere Bewertung der Zirkuskünste aussprechen – zumindest was Circus Busch anbelangt. Denn im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nutzten die deutschen Schauspielverbände Deutscher Bühnenverein und Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger immer wieder den politischen wie auch rechtlichen Weg, um Spielverbote und Einschränkungen für Zirkusaufführungen zu erwirken. Ihre jahrzehntelange Lobbyarbeit hat durchaus Früchte getragen. Aus heutiger Perspektive ist es zwar nur noch schwer vorstellbar, doch die Zirkusse bedeuteten für die Schauspiel- und Opernbühnen im deutschsprachigen Raum ab Mitte des 19. Jahrhunderts und in einer Zeit vor der kommunalen Theaterförderung vor allen Dingen eines: eine existenzbedrohende Konkurrenz. Insbesondere die beim Publikum beliebten Zirkuspantomimen galten unter den Vertreter:innen von Schauspiel- und Opernbühnen als Stein des Anstoßes. Viel zu nahe bewegten sich die Zirkusgesellschaften damit aus Perspektive der Lobbyist:innen am Kerngeschäft von Schauspiel und Oper und entzogen ihnen sowohl Publikum wie auch Personal. Befördert durch den Konkurrenzdruck in der Theaterlandschaft wurden die Zirkuskünste um 1900 von der Theaterlobby nicht nur als kunstlos und niedrig diffamiert, sondern sogar als kunst-, moral- und geschmacksschädigend dargestellt – auch mit dem Ziel, die eigenen Darbietungsformen aufzuwerten. Dieser...