Quelle 7: Das Theater als neue Welt
von Florian Nelle
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
„Totus mundus agit histrionem“ soll über der Bühne des Globe Theatre in London gestanden haben. „Die ganze Welt spielt Theater.“ Dieses Motiv zieht sich in unterschiedlichsten Ausprägungen durch alle Teilbereiche der Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts. Nun steht die Metapher von der Welt als Bühne in einer ehrwürdigen Tradition, die bis zu Platon zurückreicht und die auch im Mittelalter keineswegs abreißt.1 Warum also gewinnt sie gerade im 16. Jahrhundert so entscheidend an Bedeutung? Das Theatermodell, so lautet eine erste Antwort, bot Orientierung in einer Welt, die sich in einem Zustand gesteigerter Verzauberung befand. Die Welt war angefüllt von Wunderbarem, das in Wunderkammern sortiert und klassifiziert wurde, und sogar die Natur selbst nahm im Zeichen der neuen Wissenschaft phantastische und überraschende Qualitäten an. Die Dinge verloren darin ihre harte Glätte und zeigten sich durchs Mikroskop betrachtet porös und brüchig, die Luft hatte sich von einem leichten, fast unspürbaren Hauch in ein bleischwer auf den Dingen und Menschen lastendes Element gewandelt,2 und wo die Erde im Mittelpunkt des Universums geruht hatte, sauste sie nun mit atemberaubender Geschwindigkeit durch ein Weltall, dessen Grenzen dank der Erweiterung der Sinneswahrnehmung in unabsehbare Ferne gerückt waren. Im Licht der experimentellen Wissenschaft und ihrer...