Akteure
Guten Appetit!
Der slowakische Künstler Dávid Koronczi performt geselliges Essen mit politischem Anspruch
von Lina Wölfel
Erschienen in: Theater der Zeit: Geste des Kollektiven – Sandra Hüller und Tom Schneider (06/2025)
Assoziationen: Europa Performance Dossier: Kunstinsert

„Prinzessinnen, Prinzen und all die Feen dazwischen. Wir sind wieder da, und wie immer wird es richtig gut riechen! Hier bei mir, wie immer an Mikrofon 3, ist die Femme fatale aus Michalovce, ein prominentes Gossip Girl der Bratislavaer Theaterszene, Regisseurin und Performerin Laura Petrus. An Mikrofon 2 grüße ich den slowakischen Ungarn aus Fiľakovo, den Dorfflaneur Nr. 1 und Erős Pista der Kunstszene, Dani Kálmán … Liebe Leute, das ist ‚Post! What?‘“.
Während wir, die Zuschauer:innen, den Bühnenraum des Dresdner Festspielhauses Hellerau betreten und dabei dem Intro von „Post! What?“ zuhören, breitet sich der süßlich-holzige Geruch von Pilzbrühe in dicken Schwaden zwischen uns aus. Am Eingang haben wir ein Menü samt Serviette in die Hand bekommen. Willkommen zur „poetic degustation“, einem komponierten Festmahl, in dem sich Essen mit dem diskursiven oder poetischen Potenzial zeitgenössischer Kunst verbindet. Ein Fünf-Gänge-Menü, das eine Brücke zwischen der Slowakei und Dresden, zwischen Genuss und Diskurs, zwischen Krautsalat und rechter Kulturpolitik schlägt.
Das Konzept „BRUCHOVRAVY“ – slowakisch für „Ventriculus“ was wiederum der lateinische Begriff für „Magen“ in der Medizin ist, aber auch für Hohlräume oder Kammern von Organen gebraucht wird – wurde von dem Bildenden Künstler Dávid Koronczi initiiert.
Bei „BRUCHOVRAVY“ handelt es sich um ein laufendes Projekt, bei dem sich die Besetzung ständig ändert, ebenso wie die Rahmung der Veranstaltung selbst. Manchmal als Catering bei Kulturveranstaltungen, ein anderes Mal eine poetische Performance – wie in Hellerau. Die erste Ausgabe wurde während eines Residenzaufenthalts im Juni 2021 in der Schaubmar-Mühle (Slowakische Nationalgalerie, Pezinok, Slowakei) gestaltet. Das gemeinsame Essen ist dabei Voraussetzung und Konsequenz des Abends zugleich. Zunächst ist da ein leerer Raum, sowohl in der Physis der Zuschauenden – die Hunger haben – als auch des Bühnenraums. Dieser wird aber nicht nur mit Materiellem gefüllt.
Fiktiver Podcast
Für die zehnte Ausgabe hat die „BRUCHOVRAVY“-Crew den fiktiven kunstkritischen Podcast „Post! What?“ von Dani Kálmán und Laura Petrus eingeladen. Wobei eingeladen hier vielleicht auch schon Satire in sich ist: Die Moderator:innen des Podcasts sind Dávid Koronczi und seine Kollegin und Mitperformerin Lýdia Ondrušová selbst. Als Berufspraktiker:innen kennen sie Bildende Kunst und Theater. Während auf der Bühne also live gekocht oder vielmehr dem Menü der letzte Feinschliff verpasst wird – für fast 100 Besucher:innen zu kochen wäre doch eine logistische Herausforderung –, nehmen die Moderator:innen in ihrem Podcast die Kunst-Bubble, insbesondere der Slowakei auseinander. Dabei wird über Probleme und Fragen der aktuellen slowakischen Politik ebenso gesprochen wie über den Aufstieg der populistischen, Anti-LGBTQI+-Agenda, die das jahrzehntelang aufgebaute kulturelle Myzel zerstört. Die Verbindung zwischen Essen und politischen Themen ist stimmig. In Freundschafts- und Familienkontexten sind gemeinsame Mahlzeiten ein Ort des Aussprechens und Schweigens, des Diskutierens und Streitens, des (Wieder-)Erzählens von gemeinsamen Erlebnissen und der Bestätigung der gemeinsamen Identität, eigenen Herkunft und Zusammengehörigkeit untereinander. Der Esstisch ist ein Symbolbild des Spannungsfelds zwischen Konflikt und Verständigung.
Seit dem Amtsantritt von Martina Šimkovičová als Kulturministerin Ende 2023 erfährt die slowakische Kulturlandschaft massive Einschnitte – alles, was nicht mit ihrem rechten Weltbild vereinbar ist, wird radikal gekürzt. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Direktor:innen der Nationalgalerie und des Nationaltheaters ebenso wie die Leiterinnen der Nationalbibliothek und des Kindermuseums Bibiana abgesetzt. Dem Slowakischen Kunstrat, einst eine unabhängige Institution zur Förderung von Kunst und Kultur, wurde die Autonomie entzogen. Durch die gezielte Besetzung zentraler Führungspositionen mit regierungstreuen Funktionären sichert sich Šimkovičová ihren Einfluss. So wurde etwa ein Gastspiel des Queer Drama Festivals am Slowakischen Nationaltheater kurzfristig gestrichen – offiziell wegen eines angeblich verspäteten Vertragsabschlusses. Die slowakische Kunstszene kämpft um ihre Finanzierung – und damit um ihre Existenz, weil die relativ junge Demokratie und ihre Institutionen noch nicht stabil genug sind, um den Angriffen seitens Ministerpräsident Robert Fico und Šimkovičová standzuhalten.
Eine Prise Humor
Gewürzt ist das Ganze jedoch stets mit einer Prise Humor, wenn etwa die Rolle von Lángos in der zeitgenössischen Kunst diskutiert, die Sorgen und Freuden der Elternschaft im konservativen ländlichen Raum erörtert „oder sexuelle Frustration als schlechteste Zutat für eine Sonntagssuppe“ benannt wird. Dabei ist der Podcast, trotz seiner spannenden Informationen, eher dramaturgische Basis, Libretto, als Hauptzutat des Abends. Die ist nämlich ein Menü, das man durchaus als „casual fine dining“ bezeichnen könnte. Ganz im Sinne der Übersetzung des Wortes Ästhetik aus dem Altgriechischen als „Wahrnehmung“ und „Empfindung“ geht es an diesem Abend um das sinnlich Wahrnehmbare. Und anders als im Theater oft üblich beschränkt sich das sinnlich Erfahrbare nicht auf Seh- und Hörsinn (den Geruch von Bühnennebel mal ausklammernd). Denn bei „BRUCHOVRAVY“ gibt es tatsächlich was zu riechen und zu schmecken.
Zur Vorstellung in Dresden war das: dreierlei Kraut zur Vorspeise – Sauerkraut mit und ohne Kimchi und Ofenrotkohl mit Miso-Aromen – dazu jene Shitake-Brühe, die zuvor schon ihren deftigen Geruch verströmt hat. Als Hauptgang einen kleinen Sauerteig-Donut mit pochiertem Ei, Knoblauch-Konfit und anderen extrem geschmacksreichen Saucen – z. B. einer feurig scharfen Erős Pista-Majo (eine in Ungarn gebräuchliche Marke für eine scharfe Paprika-Würzpaste). Zum Dessert gibt es dann noch einen in Bienenwachs fermentierten Apfel mit Birnenmarmelade, Basilikumsirup und Zimt-Walnüssen und als Abschluss einen 52-prozentigen Aprikosenbrand. Wobei das Menü sich saisonal und je nach Anforderungen des Ortes ändern kann.
„Ich kreiere die Gerichte immer als Liebesbrief an meine Mutter, meine Großmütter, Großväter und unsere Tochter“, so Dávid Koronczi. Gastfreundschaft und das Teilen von Essen erzeugen hier performativ Heimat, ob physisch oder abstrakt. Gleichzeitig geht es nicht vorrangig um das Essen. Die Mahlzeiten sind eine Vermittlungsstrategie, eine Hintergrundnotiz, das Umami.
Durch diese Situation, gemeinsam zu essen, ändert sich etwas im Raum. Der Podcast wird zwar wahrgenommen, doch ihm wird nur peripher Aufmerksamkeit geschenkt. Die Performer:innen, welche die Speisen anrichten, dekorieren, verteilen und dann das leere Mehrweggeschirr einsammeln, werden zu Interaktionspartner:innen. Und: Es entsteht eine andere Haltung, mit der die Performance „betrachtet“ wird. Weg vom Betrachten, hin zum Ko-Produzieren. Oder sich aktiv zurücknehmen und ganz beim Essen bleiben.
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