Die Kapitalismuskritik des epischen Theaters
von Matthias Rothe
Erschienen in: Recherchen 170: Tropen des Kollektiven – Horizonte der Emanzipation im Epischen Theater (11/2024)
Assoziationen: Theatergeschichte Erwin Piscator
Episches Theater: Selbstermächtigung der Kooperation
Wie wird der Zusammenhang zweier Arbeitsregime in den ästhetischen Programmen des epischen Theaters ebenso wie in seiner Praxis thematisiert und vorausgesetzt?
Das Uhu-Programm der Versuche-Gruppe positioniert die künstlerische Kooperation als eine latente, noch unrealisierte Kraft gegen die Zurichtung von Tätigkeiten auf die Form verwertbarer Arbeit schlechthin. Eine auf die Bedürfnisse des Marktes zugerichtete künstlerische Arbeit wird auch zum Angriffspunkt der Piscatorbühne und der Truppe 31. Die organisatorische Arbeit, die Probenarbeit und die Arbeit der Aufführung als Fortsetzung der Probe werden auch von ihnen als grundsätzlich kooperatives Unterfangen herausgestellt. Sie sind es für sie bereits dadurch, dass sie sich auf ein mitwirkendes Publikum einstellen, auf bestimmte Wirkungserwartungen und Verhaltensweisen, etwa das stille Verbleiben am zugewiesenen Platz oder auf das Applaudieren in bestimmten Momenten. Kunst gilt den epischen Akteuren als ganze Praxis, als Zusammenhang von materiellem Setting, Verhaltensweisen und Wirkungserwartungen. Sie suchen davon ausgehend, die Voraussetzungen der ganzen Praxis anzugreifen bzw. deren traditionellen Ausprägungen zu modifizieren (nicht, die gegebene Praxis nur zu beliefern, wie Benjamin und Brecht es formulieren1).
Damit hat das epische Theater teil an den Wirkungszielen und Verfahren der ersten künstlerischen Avantgarde, die unter anderem Peter Bürger genau darüber definiert,2...