Theater der Zeit

Das Projekt Crossing Borders – Von See zu See / The Project Crossing Borders – From Lake to Lake

Theater in Malawi, Regie führen in Europa

Auf der Suche nach einer übergreifenden und von Geldgebern unabhängigen Theaterästhetik

von Thokozani Kapiri

Erschienen in: Recherchen 106: Theater in Afrika – zwischen Kunst und Entwicklungszusammenarbeit – Geschichten einer deutsch-malawischen Kooperation (09/2013)

Assoziationen: Regie Afrika

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Kapiris Artikel ist eine Dokumentation der Arbeit des Theaters in Malawi und Europa aus der Sicht eines malawischen Theaterregisseurs, der sich zum Ziel gesetzt hat, Theaterformen zu schaffen, die sich mit malawischen und universellen Themen befassen. Er spricht über Erfolge und Miss­erfolge seiner Arbeit, die er im ständigen Zwiespalt zwischen afrikanischen und europäischen Ländern ausübt. Zwischen diesen unterschiedlichen Kontexten zu wechseln, während man nach einer gemeinsamen Theaterform sucht, stellt sich als schwierige, aber zugleich bereichernde Aufgabe heraus. Anhand des Beispiels des Projektes Crossing Borders – von See zu See bringt der Artikel die Theaterlandschaft in Malawi in Zusammenhang mit ihrer finanziellen Unterstützung aus Europa; denn beides hat die Theaterschaffenden Malawis beeinflusst.

Thokozani Kapiri ist Theaterproduzent und begann seinen künstlerischen Weg im Jahr 2000 am Fachbereich für Theater und Darstellende Kunst des Chancellor College an der Universität von Malawi. Der professionelle Durchbruch gelang ihm drei Jahre später mit Nanzikambe Arts mit einer Aufführung im Young Vic Theatre in London. Nach Erhalt seines Bachelor of Arts in Theater- und Literaturwissenschaften von der Universität von Malawi, schloss er sich 2005 Nanzikambe Arts als stellvertretender Direktor, kreativer Leiter, Dramaturg und Darsteller an. Von 2007 bis 2008 führte es ihn erneut an die Universität, diesmal unterstützt von einem Stipendium der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Goethe-Instituts. Es ermöglichte ihm, an einem Postgraduierten-Programm im Bereich Theater an der Witwatersrand Universität in Südafrika teilzunehmen.

Anschließend, im Jahr 2009, schloss er sich wieder Nanzikambe Arts an, um Regisseur zu werden. Seine Erfahrungen an der Universität sowie mit Nanzikambe Arts und seinen internationalen Theaterpartnerschaften haben zu vielen bereichernden Erfahrungen geführt; sowohl auf lokaler Ebene in Malawi, als auch international wie beispielsweise in Südafrika, Simbabwe, Botswana, Sambia, und erst kürzlich in Deutschland und Irland. Für das deutsch-malawische Kooperationsprojekt Crossing Borders – von See zu See zwischen dem Theater Konstanz und Nanzikambe Arts war Kapiri der malawische Regisseur.

Vor diesem Hintergrund untersucht Kapiri im vorliegenden Artikel, warum es überhaupt Beziehungen zwischen Nanzikambe Arts und Geldgeberinstitutionen gibt, bevor er genauer auf den Inhalt und Verlauf der Zusammenarbeit eingeht. Insbesondere hinterfragt er, inwiefern man von einer gleichberechtigten „Partnerschaft“ reden kann, wer die Agenda erstellt – Künstler von Nanzikambe Arts, die Geldgeber oder das Publikum –und zu wessen Vorteil dies geschieht. Es wird ferner untersucht, wie dies seine Arbeit als praktizierenden malawischen Regisseur beeinflusst; und zwar hinsichtlich der Vorgehensweise, der künstlerischen Form, der verwendeten Sprache und des Umgangs mit Themen oder Aussagen des Theaterstücks. Diese Untersuchung zeigt letztendlich die Vor- und Nachteile der An- oder Abwesenheit von europäischen „Partnern“ sowie deren Konsequenzen für malawische Theaterkünstler auf.

Es wird gezeigt, dass das Theater in Malawi sich in einem historisch gewachsenen sozioökonomischen Feld von Abhängigkeiten bewegt. Nanzikambe Arts ist hierbei keine Ausnahme; es ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), eine von Entwicklungsgeldern gestützte, nicht-kommerzielle Institution, die unabhängig von der malawischen Regierung ist und somit keine finanzielle Unterstützung von ihr erhält, was sich auch alles in der humanitären Vision der Gruppe und deren Theateraktivitäten widerspiegelt. Dennoch ist die Partnerschaft keine gleichberechtigte, da sie hauptsächlich den Geldgeberinstitutionen Vorteile bringt, gefolgt von den Theaterangestellten; Zielgruppen werden eher außen vor gelassen. Die Abhängigkeit von Geldgebern führt Malawis Theater manchmal zu Kompromissen hinsichtlich Ästethik und Thematik, zugunsten der Geschmäcker der Geldgeber.

Letztendlich schlussfolgert Thokozani Kapiri jedoch, dass Crossing Borders – von See zu See in einiger Hinsicht außergewöhnlich war, da es ihm die Möglichkeit gab, eine Ästhetik und Thematik zu finden, die unabhängig vom Einfluss des Geldgebers war. Daher wird den malawischen Künstlern am Ende nahegelegt, sich Alternativen für finanzielle künstlerische Unabhängigkeit zu suchen. Neben internationaler kultureller Unterstützung wäre dies auch durch lokale, unternehmerische Spendenaktionen möglich; oder auch durch das Aufgreifen ursprünglicher Theaterformen, wie sie schon immer in den malawischen Dörfern existiert haben, benötigen diese doch nur geringfügige oder gar keine finanzielle Unterstützung. In Zukunft sollte das Erreichen eines Gleichgewichts zwischen Geldgebern und Künstlern anvisiert werden, um dem Künstler Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielraum hinsichtlich des ästhetischen Ansatzes zu geben, wie es bereits das Projekt Crossing Borders – von See zu See versucht hat.

Deutsche Übersetzung von Nicole Söller.

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